Als junge Frau deckte Theres Sägesser-Müller furchtlos eine Missbrauchssituation auf. Als Hebamme hatte sie den Mut, Hausgeburten zu begleiten. Heute gönnt sich die Rentnerin aus Willisau mutig eine gewisse Narrenfreiheit. TEXT UND FOTO: ASTRID BOSSERT MEIER Das war mutig. Als junge Frau arbeitet Theres Sägesser- Müller in England während einigen Monaten in einer kleinen Institution für Menschen mit geistiger Behinderung. Je länger sie und ihre Schweizer Freundin dort sind, desto deutlicher spüren sie: Etwas stimmt nicht. Sie vermuten sexuelle Übergriffe. Obwohl das Gefühl diffus ist, melden sie ihre Beobachtungen. Das bringt eine Untersuchung ins Rollen, worauf der Leiter seinen Posten verlassen muss. «Mutig war, dass wir diese Situation wahrnehmen wollten», sagt Theres Sägesser rückblickend. «Einfacher wäre gewesen, die Augen zu verschliessen.» Den Mut, für sich selber einzustehen, ist von Theres Sägesser gefordert, als sie einige Jahre später in die Fänge der Sekte Scientology gerät. Sie arbeitet in einer kleinen Gemeinde als Hauswirtschaftslehrerin, ihrem Erstberuf. Probleme im Klassenzimmer gehören zum Unterichtsalltag. Da wird sie von einer Kollegin motiviert, sich einer Gruppe anzuschliessen, in der man Unterstützung erhalte. Theres Sägesser besucht die Treffen, fühlt sich aber bald mani- puliert. Erst jetzt realisiert sie, dass es sich bei der Gruppe um Scientology handelt. Dieser Organisation will sie nicht angehören. Ihr Nein wird jedoch nicht respektiert. «Ich musste all meinen Mut aufbringen, um mich gegen den immensen psychischen Druck aufzulehnen, der auf mich ausgeübt wurde», sagt sie rückblickend. «Ich war gefordert, mich meiner Situation bewusst zu werden, meine Überlegungen dann aber auch mutig auf die Handlungsebene zu bringen.» Noch Monate später wird sie von der Sekte bedrängt. Es braucht Kraft, beim klaren Nein zu bleiben. Beherzte Flucht nach vorn Wieder ein paar Jahre später hat Theres Sägesser ihre Zweitausbildung als Hebamme abgeschlossen, legt jedoch aufgrund ihrer eigenen Mutterschaft eine Berufspause ein. Die älteste ihrer drei Töchter ist erst drei Jahre alt, als die jüngste zur Welt kommt. Auf ihren Mann kann sie in dieser Lebensphase nicht zählen. Er hat gerade eine Leitungsposi16 Pro Senectute Kanton Luzern 4 | 24 Unterstützung zu holen, tion übernommen und steckt mitten in der Aufbauphase. Doch Theres Sägesser spürt, dass sich an der Situation etwas verändern muss. Die drei Töchter klammern sich an sie. Sie fühlt sich ausgelaugt, unterfordert und überfordert zugleich. Beherzt wagt sie die Flucht nach vorn und beginnt, in einem kleinen Pensum an der Bäuerinnenschule zu unterrichten. Der Wiedereinstieg ins Berufsleben gelingt. Schwieriger ist die Situation zuhause: «Wenn ich das Haus verliess, standen auf der Treppe oftmals drei schreiende Kinder.» So schwer sich ihr Herz beim Abschied anfühlte: Der Schritt war richtig. «Das bot meinem Mann die Chance, zu seinen Töchtern eine Beziehung aufzubauen und ihnen ein liebevoller Vater zu sein. Und ich konnte mich weiterentwickeln.» Wenn Theres Sägesser aus ihrem reichen Leben erzählt, tauchen immer wieder Situationen auf, in denen sie Mut «Jede Veränderung ist wie eine Geburt», sagt Hebamme Theres Sägesser-Müller. «Wenn eine neue Lebensphase beginnt, muss man Sicherheit und Vertrauen gewinnen, dann kann man Altes loslassen.»
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