Zenit Nr. 4, November 2021

Foto: Peter Lauth «Es braucht mehr soziokul Die meisten Menschen möchten im Alter so lange wie möglich selbstständig in den angestammten vier Wänden wohnen. Dazu braucht es neben den nötigen baulichen Voraussetzungen neue Unterstützungsangebote. Jürgen Stremlow, Projektleiter an der HSLU, erklärt, wie die Gemeinden eine bedarfsgerechte Alterspolitik entwickeln können. GESPRÄCH: MONIKA FISCHER Zenit: In welchem Zusammenhang befassen Sie sich in der Forschung an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit HSLU – mit demWohnen im Alter? Prof. Jürgen Stremlow: Im schweizerischen Projekt «Kom- pass kommunale Alterspolitik» von Innosuisse erarbeiten wir zusammen mit Pro Senectute Schweiz Grundlagen für Gemeinden zur Entwicklung einer Strategie für die Alters- politik. Wohnen ist dabei nur ein Bereich, der mit vielen anderen verbunden ist. Unsere Vorstellung der Alterspolitik lehnt sich an die Definition der WHO an. Diese sollte die folgenden fünf Handlungsfelder umfassen: eine Strategie, die auch umgesetzt wird, Förderung und Erhalt der Ge- sundheit, vielfältige Wohnangebote, Teilhabe der älteren Menschen und generationengerechte öffentliche Räume. Sie gehen beimWohnen im Alter vom Pensionsalter aus. Haben Sie einen Überblick über die aktuelle Wohn- situation der alten Menschen im Kanton Luzern? Dazu hat ein Kollege der Hochschule Luzern – Wirtschaft unter anderem einen Wohnkalkulator entwickelt. Dieser kann detaillierte Analysen machen, wer wo in welchemAlter auf welcher Fläche wohnt. Im Kanton Luzern sind erst wenige Gemeinden erfasst. Es gibt noch keine allgemeine Übersicht. Welche Voraussetzungen sind nötig, damit alte Menschen so lange wie möglich in den angestammten vier Wänden wohnen können? Um diesem Wunsch nachzukommen, geht es darum, die Selbstständigkeit bei schrittweise abnehmenden Kräften möglichst lange zu erhalten und zu fördern. Wenn die alten Menschen länger zu Hause wohnen, wird die stationäre Betreuung oft kürzer. Deshalb braucht es statt Pflege mehr Betreuung/Pflege. Neben Heimen und Spitex, also den stationären und ambulanten Angeboten, muss es dazwi- schen viele weitere Angebote geben. Diese sollten so durch- lässig, abgestuft und niederschwellig wie möglich sein. Dazu gehören Wohnungen mit Dienstleistungen ebenso wie weitere Hilfen im Alltag und Angebote zur Unterstützung der pflegenden Angehörigen. Wenn alte Menschen bei zunehmender Gebrechlichkeit weiterhin zu Hause leben, braucht es auch eine ange- passte Wohnumgebung. Eine Wohnung sollte möglichst hindernisfrei sein. Ebenso wichtig sind der Zugang zum Haus und die Gestaltung des wohnungsnahen Umfelds. Dazu gehören die Nähe zum öffentlichen Verkehr, Nachbarschaftshilfe, Einkaufsmög- lichkeiten und ambulante Dienste, wie z.B. der Mahlzeiten- dienst, die das Wohnen zu Hause erleichtern. Pro Senectute bietet verschiedene Dienstleistungen an, die das Wohnen zu Hause unterstützen … Untersuchungen zeigen, dass 10% der betroffenen Men- schen mit Dienstleistungen nicht erreicht werden. Deshalb braucht es zusätzliche Übersetzungsleistungen. Nötig sind Stellen resp. Menschen, die Betroffene informieren, allen- falls administrativ unterstützen und auf finanzielle Unter- stützung oder hilfreiche Angebote hinweisen. Deshalb wird die soziokulturelle Unterstützung im Quartier im Alltagsle- ben immer wichtiger. Mir gefällt der Begriff Quartierküm- merer. Das sind Menschen, die sich bei aller Einhaltung von Respekt und Abstand doch professionell um andere be- mühen. Beratung und Unterstützung brauchen ebenfalls die pflegenden Angehörigen, sind sie doch die wichtigste Zielgruppe, um ihren betagten Verwandten oder Freunden das Wohnen zu Hause zu ermöglichen. Es braucht also neben jenen von Pro Senectute noch weitere Angebote, die den Menschen das Wohnen zu Hause im Alter ermöglichen ... Die Bedeutung der Beratungsarbeit von Pro Senectute wird in Zukunft noch zunehmen. Wegen der Komplexität von Angeboten ist jedoch ganz allgemein eine Professionalisie- rung nötig. Es gibt immer mehr Städte, grössere Gemeinden und Regionen, die eine Fachstelle Alter oder Fachstelle Gesundheit mit einem breiten Beratungsangebot haben. Die soziokulturelle Animation ist in geschlossenen Quar- tieren von Städten einfacher zu bewirtschaften als in den dezentralen Strukturen in ländlichen Gemeinden, wo Läden und Post geschlossen werden und der öV eingeschränkt ist. 12 Pro Senectute Kanton Luzern 4 | 21

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