Zenit Nr. 3. September 2025

Im frühen Mittelalter gab es bereits verschiedene Routen der «via romea», des Weges nach Rom. Nach dem Sieg über die Langobarden (ihre Hauptstadt Pavia fiel 774 nach neunmonatiger Belagerung) übernahmen die Franken unter Karl dem Grossen die Kontrolle der Alpenpässe. Die Franken siedelten religiöse Gemeinschaften an Orten von hoher strategischer Bedeutung an. Ein Beispiel dafür ist das Hospiz auf dem Grossen Sankt Bernhard. Es ist 810 erstmals dokumentiert und steht bis heute ganzjährlich für Pilgernde offen. Die diversen weiteren Hospize und Schulen der Chorherren von SaintMaurice am Pass bis Aosta wurden kürzlich wegen Priestermangel geschlossen. Die Bernhardinerhunde hingegen bleiben auf dem Pass, beziehen aber im Winter ihr Quartier in Martigny. Die wichtigste Quelle zum Frankenweg bietet Sigeric, Erzbischof von Canterbury, der im Jahre 990 aus den Händen des Papstes das «Pallium» erhielt, einen Wollschal als Zeichen seiner Ernennung zum Erzbischof. Sein Rückweg in 79 Etappen von rund 20 km pro Tag dokumentierte er ausführlich. Für die 1600 km brauchte er 80 Tage. Pilgergeld ermöglichte den Bau des Petersdoms Um 1155 verfasste der isländische Abt Nikulás von Munkathvera ein Pilgerhandbuch. Von Dänemark verläuft seine Route nach Stade, Paderborn, Mainz, Speyer, Strassburg, Basel und Vevey. «Von hier aus übernehme ich die Wege der Engländer und Franken (die Via Francigena)», schreibt er sinngemäss. In Utrecht hatte er den Pilgersegen erhalten, ein Ritual, bei welchem ihm Pilgerstab und Tasche überreicht wurden, die 24 Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 25 Mit Hape Kerkelings Bestseller «Ich bin dann mal weg – meine Reise auf dem Jakobsweg» (2006) ist das Pilgern plötzlich salonfähig geworden. Das Buch war mehr als 100 Wochen lang auf Platz eins der «Spiegel»-Bestsellerliste für Sachbücher und wurde verfilmt. Die Via Francigena – der «fränkische Weg» ist in den letzten Jahren zu einer Alternative des von Pilgern «überschwemmten» Jakobswegs geworden. VON WALTER STEFFEN* Die Via Francigena Zeremonie der «benedictio perarum et baculorum», die gleichzeitig auch für fahrende Studenten galt. Stellvertreter wurden bezahlt, um den Ablass abzuholen Als die Macht der deutschen Kaiser in Italien schwand, verlor auch die Via Francigena ihre Bedeutung. Die Wirtschaft der an ihr liegenden Städte (wie zum Beispiel San Gimignano) brach zusammen. In der Renaissance wurden die alten römischen Strassen wie die «Via Cassia» (Genua–Rom) wiederentdeckt. Der Pilgerstrom kam aber nie zum Erliegen. Die Päpste förderten ihn mit der Einführung des «Heiligen Jahres» ab 1300, alle 25 Jahre. Dabei wurde den Pilgern der vollständige Ablass der Sündenstrafen gewährt, wie es ihn bisher nur für Kreuzfahrer gab. Im Jahr 1300 verzeichnete das Hospiz des Grossen Sankt Bernhard 20 000 Übernachtungen. Mit dem «Pilgergeld» konnte Papst Nikolaus V. um 1450 den Neubau des Petersdomes beginnen und Papst Sixtus IV. im Jahre 1475 die Tiberbrücke (Ponte Sisto) und die Sixtinische Kapelle errichten. Wer die gefährliche Pilgerreise nicht machen wollte, bezahlte einen Stellvertreter, welcher für ihn den Ablass abholte. Daher müssen Reise- und Abenteuerlust sicher auch als Beweggründe für das Pilgern gelten. Neben der Wanderschaft von Handwerksgesellen war Pilgern die einzige Gelegenheit, die Welt zu entdecken. Mit dem Boom des «Jakobsweges» wurde auch die «Via Francigena» um 1990 revitalisiert. Sie wurde 2004 als «Major Cultural Route of the Council of Europe» ausgezeichnet. Das italienische Tourismusministerium half dabei kräftig mit. Der Gedenkmarsch ehemaliger Schweizergardisten von Bellinzona nach Rom im Jahre 2006 (anlässlich des 500-jährigen Bestehens der Päpstlichen Schweizergarde) hat die Popularität des Weges besonders in der Schweiz gefördert. Im Heiligen Jahr 2025 besuchen etwa 30 Millionen Pilger und Touristen Rom. n Informationen: www.pilgerzentrum.net www.viafrancigenasuisse.ch/de/via-francigena/ *Dr. phil. Walter Steffen (*1945) unterrichtete Geschichte, Italienisch und Englisch an den Lehrerseminarien Luzern und Hitzkirch und leitet Exkursionen von Pro Senectute Luzern.

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