Viele Menschen möchten zu Hause sterben. In der Realität gelingt das jedoch nur selten: Rund 40 Prozent aller Todesfälle ereignen sich im Spital, weitere 40 Prozent im Alters- und Pflegeheim. Lediglich jede fünfte Person kann bis zum Lebensende in den eigenen vier Wänden bleiben. Oft ist dies nur möglich durch eine spezialisierte Palliativpflege und die intensive Begleitung durch Angehörige. Eine Aufgabe, die Ehemänner, Ehefrauen, Töchter und Söhne an ihre Grenzen bringen kann. Wie viel Zeit bleibt noch? Diese Erfahrung machte auch Irène Elmiger-Rölli (56) aus Gelfingen. Gemeinsam mit ihren drei Geschwistern begleitete sie den Vater, bis er im Sommer 2024 zu Hause starb. Zwei Jahre zuvor war bei Karl Rölli Speiseröhrenkrebs diagnostiziert worden, kurz nachdem er seine Frau verloren hatte. Eine Therapie lehnte der 90-Jährige ab. Der Arzt sprach von wenigen verbleibenden Monaten. Doch der Tod kam erst nach zwei Jahren. Gerade die Länge der Krankheit sei herausfordernd gewesen, erzählt Irène Elmiger. «Man weiss nie, ob es noch Tage, Wochen oder Monate dauert.» Auch Pflegefachfrau Flavia Steiner von der Spitex Hochdorf kennt diese Situation. Wer zu Hause ein schwerkrankes Fami- lienmitglied begleite, übernehme eine «intensive Aufgabe über einen ungewissen Zeitraum». Umso wichtiger sei es, offen über mögliche Krankheitsentwicklungen und Grenzen zu sprechen – sowohl was die Pflege betrifft als auch die Belastung der Angehörigen. Im Erstgespräch thematisiert die Palliative-Care-Spezialistin deshalb auch die Möglichkeit einer Pflegeeinrichtung. «Es ist sehr wichtig, einen Plan B zu haben», so ihre Erfahrung. Für Karl Rölli war es jedoch der grösste Wunsch, in der eigenen Wohnung zu bleiben. Der ehemalige Viehhändler war ein selbstbewusster Mann. «Ich spürte eine gewisse Erwartungshaltung uns Kindern gegenüber», sagt die Tochter. Andererseits wollte sie diesen Wunsch erfül14 Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 25 Irène Elmiger und ihre Geschwister pflegten den 90-jährigen Vater bis zu seinem letzten Atemzug in den eigenen vier Wänden. Es war eine Zeit der tiefen Nähe, aber auch der Überforderung. Und der Erkenntnis, wie kostbar jeder Moment ist. Der letzte Sommer zu Hause len und dem Vater, der seine Kinder zu eigenständigen Persönlichkeiten erzogen hatte, etwas zurückgeben. Wann holen wir professionelle Hilfe? Anfangs verrichtete Irène Elmiger vor allem Hausarbeiten. Mit der Zeit kam die Pflege hinzu. Die selbstständige Coiffeuse und Familienfrau hatte vor einigen Jahren den SRK-Lehrgang für Pflegehelfende absolviert. Das erwies sich als hilfreich. Auch die Geschwister leisteten ihren Beitrag, verbrachten Zeit mit dem Vater oder kochten für ihn. Als seine Kräfte nachliessen, zog Irène Elmiger die Spitex hinzu. Für den einst starken Mann war es schwer, sich helfen zu lassen. Doch er fügte sich – wenn auch nicht ohne Reibung. «Mein Vater wollte trotz Krankheit ernst genommen und nicht allzu fürsorglich behandelt werden. Das konnte fürs Personal schon eine Herausforderung sein», erinnert sich Irène Elmiger. Oft brauche es etwas Zeit, bis sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickle, sagt Spitex-Co-Leiterin Flavia Steiner. Ihr Team sei es zwar gewohnt, in ganz unterschiedlichen Kontexten zu arbeiten. «Doch manchmal harmoniert es einfach nicht. Dann ist es wichtig, Unstimmig- keiten offen anzusprechen. Nur so können wir eine Lösung finden.» Was sich die Pflegefachfrau zudem von den Familien wünscht: «Angehörige, die sich an der Pflege beteiligen möchten, sind für uns eine willkommene Unterstützung. Wenn möglich und für die Angehörigen tragbar, schulen und instruieren wir sie gerne für pflegerische Handlungen – beispielsweise die Verabreichung von Medikamenten.» Grundsätzlich schätze die Spitex, wenn beim Besuch jemand vor Ort sei und sich mit den Pflegefachleuten über Beobachtungen oder Veränderungen austausche. «Das hilft uns, eine Situation noch besser einschätzen zu können.» Wie weit reicht die Kraft der Helfenden? Die letzten drei Monate vor Karl Röllis Tod waren besonders intensiv. Die Geschwister wechselten sich in BetreuFoto: zVg
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