Zenit Nr. 3. September 2025

12 Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 25 Wünsche kennen kein Alter Manche Träume erfüllen sich im hohen Alter, andere bleiben bewusst unerreicht. Einige Wünsche warten nur darauf, aktiv angepackt zu werden, sobald die Zeit reif dafür ist. Drei Persönlichkeiten zeigen, wie unterschiedlich Menschen mit ihrer eigenen Löffelliste umgehen. TEXT UND FOTOS: ASTRID BOSSERT MEIER UND ROBERT BOSSART Welch unerschrockene Frau! Zu ihrem 100. Geburtstag wagte Rosa Hess ein Abenteuer, das sich viele Jüngere zweimal überlegen würden: einen TandemGleitschirmflug. Vom 2166 Meter hohen Grindelwald First schwebte sie an einem strahlenden Sommertag hinunter ins Dorf auf 1130 Meter über Meer. Es war ein Geschenk ihrer SAC-Freundinnen und -Freunde, das zwanzig Jahre auf sie gewartet hatte. «Den Gutschein bekam ich zum 80. Geburtstag», erzählt sie lachend. «Damals sagte ich spasseshalber, den löse ich mit neunzig ein.» Mit neunzig verschob sie das Wagnis um weitere zehn Jahre. Als 2024 der 100. Geburtstag nahte, wusste sie: «Jetzt gibt es keine Ausrede mehr.» Rosa Hess (101), Ufhusen Mit 100 Jahren hoch in die Lüfte Am Start fühlte Rosa Hess nicht etwa Knieschlottern, sondern riesige Vorfreude. «Ich habe unzählige Berg- und Skitouren gemacht. Höhenangst kenne ich nicht», sagt Rosa Hess, die auch heute noch kleinere Wanderungen unternimmt. Dennoch war sie froh, mit Hansjörg Walliser einen erfahrenen Gleitschirm-Piloten an ihrer Seite zu haben, den sie kannte. Am Start ging es schnell und unkompliziert. «Er sagte, du musst nur ein paar Schritte rennen, und schon waren wir in der Luft.» Rosa Hess genoss jede Minute des Flugs, den Wind im Gesicht, den Ausblick auf die majestätischen Berner Alpen. Als sie wieder festen Boden unter den Füssen hatte, war sie überwältigt von einem Gefühl grenzenloser Freiheit. «Am liebsten würde ich nochmals gehen», hatte sie damals geschwärmt. Und genau dieser Wunsch wurde wahr. Zum 101. Geburtstag überraschte ihre Tochter Ilse Reber (83), bei welcher sie seit zwölf Jahren lebt, die Jubilarin mit einem zweiten Flug. Auch diesen meisterte die 101-Jährige mühelos – und strahlte wie beim ersten Mal. Doch Rosa Hess weiss: Ein Abenteuer wie dieses ist nicht allein das Geheimnis ihrer Lebensfreude. «Ich habe keine unerfüllten Wünsche. Ich nehme das Leben an, wie es kommt.» Eine Haltung, welche die gebürtige Österreicherin auch durch schwere Zeiten getragen hat. Denn das Leben meinte es nicht immer einfach mit ihr. Mit 19, sie war gerade Mutter geworden, verlor sie ihren ersten Mann im Krieg. Nach Kriegsende musste sie ihre kleine Tochter bei den Grosseltern zurücklassen, um in der Schweiz Geld zu verdienen. Als sie hier die zweite Liebe fand, holte sie die damals 15-jährige Ilse zu sich. Doch Mutter und Tochter muss- ten sich erst wieder annähern. Später, mit 48, verlor Rosa Hess auch ihren zweiten Mann. Doch sie fand immer wieder die Kraft, vorwärtszuschauen. Auch heute, mit 101 Jahren, bleibt sie eine Frau voller Optimismus. Was ist das Rezept ihres Lebens? «Nicht jammern. Wenn man klagt, tun die ‹Bobolis› nicht weniger weh. Und man darf sich nicht in Sorgen verlieren. Viel besser ist es, jeden Tag zu nehmen, wie er ist – und das Schönere zu wählen, wenn man die Wahl hat. Denn niemand weiss, ob man morgen noch da ist.» Foto: zVg

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