Zenit Nr. 3. September 2025

Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 25 11 SEELSORGE Sie bekommen dann einen Intensivkurs, um das Sterben zu lernen. Es gibt Leute, die sich nie mit ihrer Endlichkeit befasst haben und dann trotzdem mit sich im Reinen sind, wenn das Ende kommt. Andere bleiben in ihrer Wut und Verzweiflung. Eine Schülerin erzählte mir einmal von einem Patienten, der immer nur schimpfte. Während der morgendlichen Pflege starb er, sozusagen mit einem Schimpfwort auf den Lippen. Es hat mich gelehrt: Es ist Wunschdenken, dass jeder Mensch am Schluss eine Läuterung erlebt. Aber es gibt viele Menschen, die in den letzten Tagen und Stunden noch viel Wertvolles durchleben. Die Zuwendung ihrer Liebsten, Frieden und Versöhnung. Sterben gehört zum Leben. Leben dauert bis zum letzten Atemzug. Warum sind Trauerfeiern – aus seelsorgerischer Sicht – so wichtig? Was ermöglichen sie den Hinterbliebenen und vielleicht auch den Sterbenden selbst? Sie sind ein Ritual des Übergangs und bedeuten für Angehörige meist einen wichtigen Schritt. Eine solche Feier braucht eine genaue Orchestrierung. Es fängt sehr traurig an, man schaut zurück, es geht um Erinnerungen und es hat auch Platz für Bitterkeit und Ungelöstes. Dann würdigt man den Verstorbenen, das ist auch bei jungen Menschen, die sterben, enorm wichtig. Schliesslich geht es darum, wie es nun weitergeht, wie man mit der Trauer umgeht, einander unterstützt und dass nun eine schwere Zeit kommt. Der letzte Weg zum Grab ist sehr wichtig, er gibt dem Loslassen ein Gesicht. Zentral ist das Leidessen, es ist ein erster Schritt zurück ins Leben, wo man aufein- ander zugeht. Leider passiert es immer noch, dass Menschen die Strassenseite wechseln, wenn sie einen Bekannten sehen, der in Trauer ist – weil sie nicht damit umgehen können. Da helfen Trauerrituale. Was wünschen Sie sich im gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Tod und Endlichkeit – besonders mit Blick auf ältere Menschen? Ich wünsche mir, dass der Tod nicht noch mehr privatisiert wird. Immer mehr Menschen feiern nur noch im engsten Familienkreis. Das ist problematisch, denn es ist wichtig, auch von einem Nachbarn oder entfernten Bekannten Abschied nehmen zu können. Wie bedeutend es ist, an der Trauer beteiligt zu werden, habe ich bei einem tragischen Unfall eines jungen Mannes in unserer Nachbarschaft gesehen. Seine Familie und Kolleginnen und Kollegen haben am Unfallort viele Kerzen entzündet und über zwei Wochen Tag und Nacht dort gewacht. Diese jungen Menschen werden das Erlebnis nicht vergessen und haben wohl gespürt, wie gut das Zusammensein und das gemeinsame Trauern in dieser tragischen Situation getan haben. Das Miterleben von Tod und Endlichkeit ist prägend und man lernt viel fürs eigene Leben. INTERVIEW: ROBERT BOSSART Zur Person Irene Meyer Müller ist freischaffende Seelsorgerin und Leiterin für poetische und kreative Schreibwerkstätten und biografisches Arbeiten. Die diplomierte Pflegefachfrau und ehemalige Berufsschullehrerin absolvierte den Bachelor in Religionspädagogik und arbeitete als Pfarreiseel- sorgerin mit Engagement in der Seniorenseelsorge. Irene Meyer Müller lebt in Eschenbach und arbeitet heute nebst ihrer selbstständigen Tätigkeit als Klinikseelsorgerin in der Hirslandenklinik St. Anna in Luzern.

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