Zenit Nr. 3. September 2025

10 Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 25 Irene Meyer Müller macht Trauerbegleitungen, ist Seelsorgerin und beschäftigt sich beruflich mit der Endlichkeit. Sie plädiert dafür, dass wir den Tod nicht immer mehr privatisieren, sondern uns öffentlich damit auseinandersetzen. Wie erleben Sie Menschen in ihrer letzten Lebensphase? Welche Gefühle, Gedanken oder Themen beschäftigen sie besonders? Irene Meyer Müller, Seelsorgerin: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen so sterben, wie sie gelebt haben. Oft möchten Menschen, die ein Leben lang selbstbestimmt gelebt haben, auch am Ende so gehen. Ungeduldige oder Unzufriedene sind auch am Schluss so. Aber man kann nie wissen, wie jemand reagiert, wenn es ums Sterben geht. Es gibt Leute, die nochmals einen riesigen Schritt Richtung Gelassenheit und Abgeklärtheit nehmen. Warum fällt es vielen so schwer, sich mit der Endlichkeit auseinanderzusetzen – selbst im hohen Alter? Ich erlebe über 90-Jährige, die wütend sind, weil sie krank geworden sind. Sie seien doch ein Leben lang gesund gewesen, finden sie und hadern damit, dass sie ins Spital müssen. Es scheint, als rechneten sie nicht mit dem Tod oder mit Gebrechen. Statt dass sie dankbar sind, so lange gesund gelebt zu haben, sind sie wütend. Deshalb ist es wichtig, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, auch öffentlich. Eine Trauerfeier, die man besucht, ist eine Chance, sich mit der eigenen Vergänglichkeit zu beschäftigen. Manche Menschen weichen dem stets aus und sind, wenn ihr eigenes Ende kommt, absolut unvorbereitet. Aber auch sie müssen sterben. Wie gehen Sie mit Menschen um, die nie über ihr eigenes Sterben nachdenken? Grundsätzlich lasse ich sie so, wie sie sind, aber ich nehme den Faden auf, wenn sie das Thema auch nur subtil ansprechen. Ich erlebe Menschen, die, auch wenn sie schwer krank sind, nicht loslassen können und bereit sind, alles mit sich machen zu lassen, um nicht zu sterben. Wenn ich als Seelsorgerin gerufen werde, versuche ich, die Wut, Ohnmacht und Trauer auszuhalten, zuzuhören und einfach da zu sein. Manchmal richten die Menschen von sich aus den Fokus auf das, was gut in ihrem Leben war. Das kann sehr heilsam sein, denn vieles, was man erlebt hat, erkennt man erst im Rückblick als wertvoll. Wie sollte man leben, damit man «gut» sterben kann? Wer lernt zu leben, kann auch gut sterben. Ehrlich sein, im Moment leben, sich mit dem, was kommt, auseinander zu setzen, sich auf Dinge und Herausforderungen einlassen, Krisen aushalten, das Schöne geniessen – das volle Leben und zwar das eigene, nackte Leben, das nicht nur auf Materielles ausgerichtet ist. Sterben ist ähnlich wie geboren werden: Gebären heisst loslassen, nur dann gelingt es. Das ist beim Sterben genau gleich. Viele Menschen sterben, wenn sie allein sind. Vielleicht ist es allein einfacher, ganz loszulassen. Gibt es einen «guten Zeitpunkt», um sich mit dem Sterben auseinanderzusetzen ? Einen richtigen Zeitpunkt gibt es nicht. Wenn man mit dem Thema konfrontiert wird, sollte man nicht ausweichen und auch Kinder nicht davor «schützen». Sie haben einen natürlichen Bezug und Umgang zum Tod, wenn sie gut begleitet sind, können sie das viel besser verarbeiten, als wenn man sie ausschliesst. Was passiert, wenn Menschen das Thema Tod und Abschied zeitlebens verdrängen? «Menschen sterben so, wie sie gelebt haben» Foto: zVg TRAUERCAFÉ Abschied hat viele Facetten. Das Trauercafé ist ein Ort, wo gemeinsam getrauert werden kann. Trauernde kön- nen sich Zeit nehmen, ihre Trauer zu leben. Im Trauercafé können Gefühle geteilt und Gedanken ausgetauscht wer- den. Es kann aber auch gemeinsam geschwiegen werden. Informationen: lu.prosenectute.ch/Trauercafe oder Telefon 041 226 11 99 oder bildung.sport@lu.prosenectute.ch

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