Zenit Nr. 3, September 2017

Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 17 33 Das änderte sich nach 1989 sehr rasch. Die nicht länger geschützten Schweizer Unternehmen verloren ihren natio- nalen Bezugsrahmen. Hier einige Beispiele: Aus Ciba Geigy und Sandoz wurde 1996 Novartis, Toblerone wurde vom deutschen Jacobs-Konzern gekauft und später an den US-Konzern Mondelez International weiterverkauft. Die Brauerei Eichhof schluckte erst zahlreiche Kleinbrauereien (von Liestal bis ins Tessin), bevor sie an die holländische Heineken-Gruppe ging. Der Niedergang von Sulzer Geradezu exemplarisch ist der Zerfall der 1834 gegründe- ten Schiffsmotoren- und Turbinenfabrik Sulzer in Winter- thur: 1966 noch der Stolz der Schweizer Industrie mit 14 000 Mitarbeitern (38 000 weltweit) setzte man ab 1998 – unter Tito Tettamanti – voll auf Medizinaltechnik: künstli- che Hüftgelenke und Herzschrittmacher. Alles andere wurde verkauft, zum Teil an Stadler Rail. «Kleiner – aber profitabler» hiess das Motto. 2007 stieg der russische Oligarch Viktor Vekselberg bei Sulzer ein. Zweifelhafte Geschäfte brachten die Eidgenössi- schen Finanzmarktaufsicht auf den Plan. Vekselberg und zwei weiteren Oligarchen drohte eine Busse von 40 Millio- nen Franken. 2010 wurde die Untersuchung des Falles durch das Bundesgericht eingestellt. Hatte Putin die Hand im Spiel? 2015 brach der Gewinn bei Sulzer um 73 Prozent auf 275 Millionen Franken ein. Es liefen Sparprogramme. Trotzdem zahlte Sulzer seinen Aktionären – Vekselbergs Renova hat mit 63 Prozent die Aktienmehrheit – eine halbe Milliarde Franken Sonderdividende aus. Das Geld stammte aus dem Verkauf einer Firmensparte. Sulzer produzierte unter anderem Pumpen für die Ölindustrie und spürte den Zerfall des Ölpreises. Im März 2017 wurden von den 494 Stellen in Winterthur weitere 90 gestrichen. In der Schweiz bleiben bloss noch Forschung und Entwicklung, sowie Ver- waltung. Sulzer produziert hier nichts mehr. Nach dem Anschlag auf die Twin Towers in New York vom 11. September 2001 erreichte die Unglückswelle auch die Schweiz: In Zug erschoss am 27. September der Atten- täter Leibacher im Parlamentsgebäude 14 Politiker, bevor er sich selbst richtete. Am 2. Oktober ereignete sich das Swissair-Grounding. Kaum einen Monat später löste ein alkoholisierter Lastwagenfahrer am 24. Oktober ein Inferno im Gotthardtunnel aus. Elf Menschen starben in der Flam- menhölle. Die Schweiz fiel in eine Art «Schockstarre», von der sie sich nur langsam erholte – vielleicht erst an der friedlichen Expo 02. Wie gefährlich der wirtschaftliche Alleingang werden kann, zeigt der Fall der Swissair. Nach der Ablehnung des EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) 1992 ging die Swiss- air in die Offensive und kaufte verschiedene marode Flug- gesellschaften auf, darunter die belgische Sabena. Mit dieser Hunter-Strategie wollte die «fliegende Nationalhymne» am liberalisierten europäischen Luftraum teilhaben. 2001 kam es zum Grounding. Die Schweizer Banken liessen die einst als «fliegende Bank» bezeichnete Airline im Stich. Der Bund musste die Nachfolgegesellschaft Swiss mit Milliardensub- ventionen stützen und sie schliesslich 2007 der deutschen Lufthansa für ein Butterbrot überlassen. Als «deutsche Tochter» ist die Swiss längst der EU beigetreten. Es tönt etwas zynisch, wenn diese Lufthansa-Tochter heute mit dem Schweizerkreuz am Heck ihrer Flugzeuge mit dem Slogan wirbt: «Unser Zeichen ist ein Versprechen». Kaum war der Fall Swissair gelöst, musste die öffent- liche Hand auch die UBS retten, die sich auf dem US- Immobilienmarkt verspekuliert hatte. Der Bund musste einspringen, indem er illiquide Wertpapiere im Wert von 61 Milliarden Franken in eine «Bad Bank» übernahm und eine Wandelanleihe von 6 Milliarden Franken zeichnete. Die UBS hatte zudem vielen US-Bürgern systematisch bei der Steuerhinterziehung geholfen. Trotzdem nahm sie keinen Kurswechsel vor: Die Verfehlungen der Geschäfts- Demonstration gegen die Schliessung der Giesserei Sulzer in Winterthur, Juli 1992. Foto: Sozialarchiv

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