Zenit Nr. 2, Juni 2022

gegenüber eines jungen Mannes ein Plätzchen fand. Als ihr Vis-à-vis ein leckeres Clubsandwich serviert bekam, lief ihr das Wasser im Mund zusammen und sie fragte ihn, ob sie ein Stück davon haben könnte. «Mein Mann sagt heute noch, wenn er ein Dessert serviert bekommt: Lass mir doch wenigstens den ersten Bissen.» Heute sind die beiden seit 50 Jahren ein Paar, ein glückliches. Wie haben sie das geschafft? Ellen Ringier überlegt. «Ich kann es nur in einem Satz zusammenfassen: Wir haben es beide gewollt.» Zusammen leben, zusammen alt werden. Es habe viele Situationen gegeben, bei denen andere vielleicht auseinandergegangen wären. «Wir haben gewisse Dinge von Anfang an festgelegt, etwa das Prinzip leben und leben lassen.» Und sie vereinbarten, dass der Satz: «Dann gehe ich» in ihrer Ehe nicht vorkomme. «Viele Paare sprechen dauernd solche Drohungen aus, was sehr harte Worte sind. Wir haben es geschafft, einander wertzuschätzen, bis heute.» Und das Gefühl, dass sie zusammengehören, das habe stets überwiegt und ihre Beziehung getragen. «Fritz und Fränzi», ein Herzensprojekt Nach der Hochzeit lebte das Paar acht Jahre in Hamburg, bevor sie am Zürichsee ihre Zelte aufschlugen. Beide arbeiteten viel, deshalb gründeten sie erst relativ spät eine Familie. Vor allem mit der Art von Arbeit in Deutschland, als sie in der Direktion einer Versicherung tätig war, bekundete sie zunehmend Mühe. Sie wollte nicht mehr «Handlangerin» sein, um mit juristischen Mitteln «guten Kunden» wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen, die es ihrer Meinung nach nicht verdient hatten. «Menschen zu helfen, die immer den Konflikt und ihren eigenen Vorteil suchen – das wollte ich nicht mehr.» Aber Ellen Ringier wäre nicht Ellen Ringier, wenn sie sich damit begnügt hätte. Als ihre ältere Tochter zehn Jahre alt war, gründete sie ihr bereits erwähntes «Herzensprojekt» und gab das Magazin «Fritz und Fränzi» heraus. «Wir waren damals zu zweit und ich arbeitete Tag und Nacht. Als ich einem Fachmann bei Ringier mein Budget vorlegte, meinte dieser: ‹O.k., damit wirst du jedes Jahr drei Millionen verlieren.›» Ganz so viel war es nicht, aber in all den Jahren hat sie trotz Fundraising doch eine grössere Summe aus eigener Tasche in das Projekt gesteckt. Heute ist «Fritz und Fränzi» das auflagenstärkste, national und international prämierte Elternmagazin im deutschsprachigen Raum. «Es war und ist mir einfach wichtig, dass Eltern, wenn sie das möchten, zu Elternwissen kommen, dafür kämpfe ich.» IM ZENIT damals, ich könnte wenigstens an den ersten zwei, drei Sitzungen zuerst mal ruhig sein und zuhören.» Sie lächelt verschmitzt, während sie in der Handtasche nach einem Lippenstift sucht, weil ihr doch noch bewusst wird, dass ein Fotograf fleissig Bilder macht. «Ein bisschen an sich denken – wenigstens bei einem Medientermin – sollte man schon», meint sie. Es gäbe Leute in ihremUmfeld, die sich um ihre Falten im Gesicht sorgten. Gefallen tun ihr diese zwar nicht, Zeit und Lust, daran etwas zu ändern, hat sie nicht. «Die gehören zu meinem Leben», sagt sie. Und wechselt lieber das Thema. Ellen Ringier war lange auch in der Zürcher Frauenzentrale im Vorstand und setzte sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. «Das war in einer Zeit, als ich noch in der Advokatur als Juristin tätig war.» Dann, sie war um die vierzig, kamen ihre beiden Töchter in ihr Leben, ihr Mann war beruflich bei Ringier stärker gefordert und die junge Familie bezog ein neues Haus in Küsnacht. Ellen Ringier gab ihren Job als Juristin auf, damit sie mehr Zeit für die Kinder hatte, die anderen Engagements pflegte sie aber weiter. Seit dieser Zeit hatte sie ein eigenes Büro und wurde immer mehr von Stiftungen und ähnlichen Institutionen angefragt, ob sie sie beim Fundraising beraten oder helfen, geeignete Stiftungsräte zu finden. «Ich bin heute noch Gesprächspartnerin für Leute, die etwas aufbauen möchten.» Ellen Ringier gilt als hartnäckige Geldsammlerin. Sie lacht und schüttelt den Kopf. «Die Menschen dachten immer, ich könne doch einfach das Geld meines Mannes nehmen.» Das wollte sie jedoch nicht, und immer wieder hat sie Projekte aus ihren eigenen Mitteln mitfinanziert. Vor allem aber besitzt sie dank ihres grossen Netzwerks die Gabe, andere Menschen zu überzeugen, damit sie Stiftungen und ähnliches finanziell unterstützen. Vor 40 Jahren gab es durchaus Leute, die erstaunt waren, dass eine wie sie sich für soziale Anliegen engagiert. Einer der «Grossen» aus der Wirtschaft nannte sie deswegen sogar «Krypto-Kommunistin». «Viele wunderten sich damals, warum ich nicht einfach die Rolle der Unternehmensgattin übernahm. ‹Tais- toi et sois jolie – schweig und sei hübsch›, aber das interessierte mich überhaupt nicht.» Als Jugendliche und junge Frau in Luzern interessierte sich Ellen Ringier für alles, was mit Sport zu tun hatte: Skifahren, Tennis, Langlauf, Klettern, Golf und mehr. «Ich war zwar nirgends wirklich begabt, aber es machte Spass.» Natürlich war sie auch Fasnächtlerin, und so kam es, dass sie übernächtigt, müde, etwas angetrunken und hungrig mit einer Kollegin im voll besetzten Mövenpick am Grendel «Überall, wo es mich braucht, packe ich an. Helfen gehört zu meinem Leben.» 6 Pro Senectute Kanton Luzern 2 | 22

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