Zenit Nr. 2, Juni 2022

Der Krieg in der Ukraine löst neben Angst und Sorgen eine enorme Hilfsbereitschaft aus. Maria Waser, ehemaliges Flüchtlingskind des Prager Frühlings, hat zwei Frauen aus Charkiw aufgenommen. Der pensionierte Sekundarlehrer Joseph Schmidiger unterrichtet Deutsch beim Verein «LUkraina», einer Kontakt- und Anlaufstelle für ukrainische Flüchtlinge. TEXT UND FOTOS VON MONIKA FISCHER Die pensionierte Ärztin Maria Waser aus Kriens war elf, als am 21. August 1968 die Panzertruppen des Warschauer Pakts alle Hoffnungen des Prager Frühlings zerschlugen. Ihre Familie war damals in der Schweiz in den Ferien und kehrte nicht mehr zurück. Sie wurde von einem Tag zum andern ein Flüchtlingskind. Deshalb dachte sie beim Ausbruch des Krieges in der Ukraine sofort daran, geflüchtete Frauen in ihr grosses Haus aufzunehmen. Ihr Mann und die drei erwachsenen Kinder gaben im Familienchat ihr Einverständnis. Maria Waser erzählt: «Die Integration meiner vierköpfigen Familie in der Schweiz verlief zumindest für mich ohne grössere Traumata und bezüglich Bildung optimal. Dies habe ich dem Engagement unserer damaligen Gastfamilie, die uns für sechs Monate unkompliziert aufgenommen hat, und unserer temperamentvollen Mutter zu verdanken. Diese engagierte sich im Haushalt der Gastfamilie und im Dekogeschäft der Gastmutter. Es war selbstverständlich, dass wir am familiären und gesellschaftlichen Leben der Familie Trösch vollumfänglich teilnahmen. Aus dieser Win-win-Situation ergab sich eine lebenslange Freundschaft mit der ganzen Familie.» Dieses persönliche Erlebnis vor Augen, überlegte Maria Waser nicht lange und handelte, als eine ukrainische Studienkollegin der Tochter sie bat, zwei Bekannte aus Charkiw aufzunehmen. In der Kaserne in Bülach holte sie Mitte März Tamara (76) und deren Tochter Tatjana (48) ab. Die zwei Frauen waren mit zwei Plastiktaschen und demHündchen Drago planlos losgelaufen, als die Bomben fielen, und kamen mit dem Zug über Polen nach Zürich. «Wir sind sehr dankbar, hier sein zu dürfen», schreiben sie über das Übersetzungsprogramm auf demMobiltelefon. An vier Vormittagen besuchen sie den Deutsch-Unterricht; das Zusammenleben gestaltet sich unkompliziert. Wie es sich ergibt, wird gemeinsam oder getrennt gekocht, Das Herz und die Seele in der Heimat gegessen und etwas unternommen. Die Gasteltern fühlen sich in ihrem Alltag nicht eingeschränkt, zumal sie dank ihrem Ferienhaus genügend Distanz finden. Ein Problem ist für Maria Waser die sprachliche Barriere: «Wir können nur über das Übersetzungsprogramm kommunizieren, was oft zu Missverständnissen führt. Richtige Diskussionen über die Befindlichkeit und Zukunftspläne der beiden Frauen sind nicht möglich. Ein weiterer Unterschied zu meiner Emigration vor 53 Jahren ist der riesige, äussert unübersichtliche, zeitraubende ‹Administrationsdschungel›.» Im Hinblick auf die Zukunft ist vieles ungewiss. Tatjana möchte eine Stelle in ihrem Beruf als Coiffeuse finden, Mutter Tamara hofft, möglichst bald in ihre Heimat zu Sohn, Enkelin und Urenkelin zurückzukehren. «Wir waren wohl alle ein wenig naiv», meint Maria Waser und wehrt sich gegen die Kritik in den Medien über das Vorgehen der Behörden. Vielmehr begrüsst sie es, dass die geflüchteten Menschen zuerst in Lager aufgenommen werden, bis die administrativen Hürden erledigt sind, und die Flüchtlinge erst nach sorgfältiger Abklärung den Gasteltern zugewiesen werden. So schätzt auch sie die neu geschaffene regionale Kontakt- und Anlaufstelle in Kriens. «LUkraina» – Hilfe zur Selbsthilfe Eine Gruppe von sechs Ukrainerinnen zwischen 23 und 41 Jahren wollte die Zukunft selber in die Hand nehmen. Sie fand sich in den sozialen Medien und gründete Anfang Mai mit Unterstützung des Vereins «Hope» und anderen lokalen Organisationen die Wohltätigkeitsorganisation «LUkraina» als Verein. Gemäss «Hope»-Präsidentin Béatrice Pistor geht es um Hilfe zur Selbsthilfe, was schon bei einem ähnlichen Projekt mit aus Syrien geflüchteten Menschen erprobt wurde. Deshalb leistete der Vereinmit einem zinslosen Darlehen eine Anschubfinanzierung, unter anderem für die Miete der Räumlichkeiten imBell-Areal in Kriens. 22 Pro Senectute Kanton Luzern 2 | 22

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