Zenit Nr. 2, Juni 2021

BLICK IN DIE GESCHICHTE Pro Senectute Kanton Luzern 2 | 21 37 Von 1875 bis 1877 gehörte sie der Königlichen Oper in Ber- lin an. Minnie Hauks wesentliches Verdienst war die leiden- schaftliche Neuinterpretation der Carmen in der bis dahin erfolglosen Oper von Georges Bizet. Sie sang in vier Spra- chen. Erst durch sie kam diese Oper zu ihrem durchschla- genden Erfolg. Jahrelange Tourneen durch Europa und die USA folgten. Sie gründete eine eigene Opernkompanie. Ihr umfangreiches Repertoire umfasste insgesamt etwa ein- hundert Rollen. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, Ende 1893, trat sie vom anstrengenden Tourneeleben zurück. Ab 1889 lebte sie mit ihrem Mann, dem österreichischen Reiseschriftsteller Ernst von Hesse-Wartegg, im Schlösschen Wartegg auf der Halbinsel Tribschen. Dieser betrog sie mit einer Jüngeren und liess Minnie nach seinem Tod mittellos zurück. Ihr Schlösschen ging in den Besitz der Musikschule der Stadt Luzern über. Heute erinnert nur noch der elegante «Min- nie-Hauk-Saal» auf Wartegg an diese sagenhafte Frau. Anna Neumann (1868–1946) Die erste Luzerner Ärztin Am 3. Oktober 1868 wird Anna Neumann als Tochter der Britin Martha Elisa Bullen und des Kan- tonsschulprofessors Konrad Neu- mann in Luzern geboren. Ihr Bru- der ist Arzt, ihre zwei Schwestern führen die Pension «Lützelmatt». Bis Anfang des 20. Jahrhunderts ist es für Frauen fast unmöglich, Me- dizin zu studieren. So begibt sie sich nach England, um am «Cheltenham Ladies’ College» Englisch zu lernen. Am «Institut Robert» bei Paris kommt Französisch dazu. Als Übersetzerin und Journalistin finan- ziert sie die Fremdmaturität in Zürich. Danach nimmt sie das Medizinstudium in Genf, Bern und Basel auf, welches sie mit 37 Jahren abschliesst. 1910 wird Dr. Anna Neumann mit Dr. Minna Bach- mann als erste Frau in die kantonale Ärztegesellschaft auf- genommen, mit Praxis an der Alpenstrasse 7. Weil man einer Frau misstraut, gilt die begnadete Diagnostikerin als Armenärztin. Sie betreut die Säuglingsvorsorgestelle und während 20 Jahren die Kinderstube Hubelmatt. Mit ihrem gelben Citroën macht sie Tag und Nacht Hausbesuche und verzichtet bei Bedürftigen aufs Honorar. 1946 stirbt sie – völlig mittellos – an einer schweren Lungenentzündung. 1994 kommt ihr Porträt an die «Wall of Fame» der ZHB. Erst 2003 werden in Luzern die ersten Strassen nach Frauen benannt – drei gleichzeitig in der Tribschenstadt. Die Cécile-Lauber-Gasse (Schriftstellerin), die Johanna-Hodel- Gasse (Politikerin) und die Anna-Neumann-Gasse. Annemarie Schmid (1918–2007) Primarlehrerinmit sozialemEngagement Neben Josi Meier, Judith Stamm, Rosmarie Dormann und Johanna Hodel gehört Annemarie Schmid zu den ersten Parlamentarierinnen Luzerns. Kaum in den Grossstadtrat gewählt, wagte sie schon 1973 eine Motion zur Einführung der Keh- richtsackgebühr. Diese kam 30 Jahre zu früh und wurde als «utopi- sche Träumerei» selbst von ihrer Fraktion (CVP) verworfen. Das hielt die vife, ledige Primarlehrerin nicht von weiteren Initiativen ab: Ihr lag die sinnvolle Freizeitbeschäftigung der Schulkinder am Herzen. Sie initiierte die Luzerner Kre- ativwochen und gründete den Verein Kinderspielplätze. In ihrem Haus an der Lindenstrasse 6 eröffnete sie nach der Pensionierung die Kreativ-Werkstatt für Kinder, das «Lindesächsi». Hier konnten Primarschulkinder unter An- leitung ihre Bastelideen verwirklichen, es gab zudem Mu- sik- und Gartenbaukurse. Ihr Wohnhaus wurde so zum ge- nerationenverbindenden Treffpunkt. 1991 verkaufte sie ihr Haus der «Wogeno» zu einemVorzugspreis, um der Speku- lation vorzubeugen. Ihr Projekt eines öffentlichen «Robert- Zünd-Parks» hinter ihrem Haus wurde nicht verwirklicht. Auch diese unermüdliche Idealistin hätte einen Strassenna- men verdient. Nach der Eingemeindung von Littau über- liess man den Littauern ihre «Lindenstrasse» und taufte das Luzerner Pendant in «Lindenhausstrasse» um. «Annema- rie-Schmid-Strasse» hätte wohl mehr Sinn gemacht. Trotz zufälliger Auswahl: Gibt es Gemeinsamkeiten? Ja: Drei Frauen waren abhängig von Männern (einem Schwei- zer Offizier in französischem Dienst, einem Freischärler und einem Oberst). Andere widmeten sich dem Schönen (der Pariser Mode, dem Wohlbefinden von Hotelgästen, dem Gletschergarten oder der Oper – (typischerweise der Carmen, dem Schicksal einer selbstständigen Frau) oder sie stellten sich in den Dienst der Schwachen (als Armenärztin oder als Primarlehrerin, welche die Kreativität der Kinder förderte). Gleiche Anerkennung werden Frauen wohl erst gewinnen, wenn unsere gesellschaftlichen Werte weiblicher werden. * Dr. phil. Walter Steffen ist Historiker und war 30 Jahre Lehrer für Geschichte, Italienisch und Englisch an den Lehrerseminarien Luzern und Hitzkirch. Seit der Pensionierung ist er Reiseleiter für Italien.

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