ERFAHRUNGSBERICHT 03 / 2025 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 60 DR. MED. ANGELA CHAPPATTE FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN, ARZTPRAXIS BOGN ENGIADINA, SCUOL Korrespondenzadresse: dischma@hotmail.com Sexualentwicklung in ihren Facetten – vom Säuglings- bis zum Jugendalter 4. April 2025, Bern tale zu benennen bei Jungen und bei Mädchen. Am besten nennt man «die Dinge beim Namen», also Vulva und Vagina oder Penis und Hoden. Die Erforschung des eigenen Genitalbereichs ist für den Säugling ein wesentlicher Bestandteil der Körperwahrnehmung. Ab zwei Jahren beginnen die Kinder, sich mehr und mehr für ihren Körper zu interessieren. Im Alter von 3 bis 4 Jahren werden Körperspiele immer interessanter. Das ist okay, solange es für alle Beteiligten okay ist. Dafür gibt es einfache Regeln, die man Eltern mitgeben kann (siehe Tab. 1). In der 10-Jahres-Vorsorge können die Pubertät antizipiert («weisst du, was passiert?») und die Geschlechtsidentität angesprochen werden. Vieles ist nicht einfach richtig oder falsch beim Thema Sexualität, sondern sehr individuell, und es lohnt sich, darüber zu sprechen. Ich wünsche mir, dass es mir gelingt, den Familien zu vermitteln, dass es bei Gesundheit nicht nur um Fernbleiben von Krankheit geht, sondern dass ein gutes Körpergefühl und ein gesundes Selbstbild ein wesentlicher Teil von Gesundheit sind. Wenn wir uns vorstellen, dass Kinder sich allmählich entdecken und dabei eine Art Landkarte ihres Körpers in ihrer Wahrnehmung verankern, sollen sie ein komplettes Bild erfassen können, ohne weisse Flecken. Samira Lütschers Wunsch, dass wir der sexuellen Entwicklung mit Neugier begegnen und lustvoll und liebevoll mit dem eigenen Körper unterwegs sind und uns damit sicher und zufrieden fühlen können, teile ich. Ihre Vision, dass wir daraus auch sicherer und offener in die Begegnung zu anderen gehen können und sich das auf unser Verhalten und Zusammenleben positiv auswirken würde, finde ich ein inspirierendes Zukunftsbild. Eine Fortbildung ist für mich dann gut gelungen, wenn sie zum Denken anregt und Interaktion stattfindet. Beides ist hier passiert, und der Tag hat sich gelohnt. Achtsamkeit ist schon beinahe ein Modewort, doch in diesem Kontext besonders wichtig. Den beiden Referentinnen ist es sehr gut gelungen, Achtsamkeit in den Tag einfliessen und Form annehmen zu lassen. Meine Erwartungen haben sich erfüllt. ■ Am 4. April fand im Hotel Ador in Bern unter der Leitung von Hannah Gräber (Praxispädiaterin mit Schwerpunkt Entwicklungspädiatrie) und Samira Lütscher (MA Sexologie) erstmals ein ganztägiger Kurs zum Thema Sexualentwicklung vom Säugling bis zum Jugendlichen statt. Eines sei schon vorweggenommen: Das Thema ist so facettenreich, dass ein Tag kaum ausreicht, alles umfassend zu besprechen. Ich habe mich auf diesen Tag gefreut, weil es ein wichtiges und interessantes Thema ist, das sowohl in unserer Ausbildung als auch in unserem Praxisalltag zu kurz kommt. Sexualität wird häufig erst in der Pubertät zum Thema, und nicht selten sind Eltern und vielleicht auch wir mit den Fragen ihrer Kinder und dem Umgang mit dem Thema überfordert. Ich war also gespannt darauf, mehr über die Phasen der Sexualentwicklung zu erfahren und ob ich etwas mehr Souveränität im Umgang mit dem Thema gewinnen würde. Einführend wurde ein Überblick über die psychosexuelle Entwicklung vermittelt. Wichtig ist zu verstehen, dass sich die Perspektive der Kinder von der der Erwachsenen unterscheidet. Für Kinder gelten zwei Grundprinzipien. Erstes Prinzip: «hier und jetzt», also auf den Moment und die Situation bezogen, unabhängig von sozialen Regeln. Zweites Prinzip: das «Gleichwertigkeitsprinzip», das heisst, Freude und Lust sind gleichwertig; ob man nun schaukelt, auf einen Baum klettert, ein Eis leckt oder sich an den Genitalien berührt. Es lohnt sich also, die Erwachsenenbrille abzulegen. Danach wurden die Phasen der Sexualentwicklung besprochen. Diese beginnt bereits intrauterin, verläuft von spontan zu willkürlich. Im weiteren Verlauf entwickelt das Kind allmählich (s)ein Körperbild, wobei in verschiedenen Entwicklungsperioden unterschiedliche Interessensschwerpunkte bestehen. Wie so oft in unserem Alltag ist auch im Umgang mit diesem Thema die Sprache der Schlüssel. So empfiehlt es sich, schon früh das Geni1 Körperspiele sind ganz in Ordnung und die Erwachsenen dürfen dabei nicht stören. 2 Ich mache nur mit, wenn es mir Spass macht. 3 Wir dürfen die Körperöffnungen anschauen, aber nichts einführen. 4 Ich frage um Erlaubnis, bevor ich mit jemandem auf die Toilette gehe. 5 Körperspiele spiele ich nur mit Kindern in meinem Alter. 6 Ich ziehe nur meine Kleider aus, wenn es mir Spass macht. Quelle: Sexualerziehung, ein Praxis-Ratgeber für die KITA mit Geschichten-Bilderkarten, Camilla Christensen, 2020 Tab. 1: Regeln für Körperspiele («Doktor»- Spiele) Bilder: Anja Münst
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