KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2025

03 / 2025 THEMENHEFTTEIL: 30 JAHRE KIS KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 31 gen zu Geburt, Stillen und im Verlauf auch Erfahrungen zum sicheren Umgang mit ihren Babys. Dies kann auch durch die vielen Kurse, Bücher und medialen Informationen nicht aufgewogen werden. Die Diplompädagogin und Humanethologin Ursula Henzinger betont in ihrem Buch zur Kulturgeschichte des Stillens, wie wichtig gerade diese innerfamiliäre Weitergabe mütterlicher Kompetenzen ist. (Henzinger, 2020)5. Wir haben daraus und aufgrund unserer Erfahrungen in der am Stadtspital geführten Schreibaby-Sprechstunde den Schluss gezogen, dass es für viele moderne Familien die Unterstützung im Sinne einer Urmutterschaft braucht. Darunter verstehen wir die einfühlsame Beratung, unkomplizierte Hilfestellung und – last but not least – das Wiederherstellen der mütterlichen (und elterlichen) Grundkompetenzen. Wir setzen uns also ein für mehr gesellschaftliche Fürsorge für die eigentlichen Mütter und für ruhige und stressfreie Entwicklungsbedingungen für die junge Familie. Sie braucht diesen Rückhalt in der Gesellschaft, damit sichere Bindungsbeziehungen entstehen und Babys sowie Kleinkinder sich gesund entwickeln können. Die Konsequenz daraus ist: Kinderärzt:innen und Psychotherapeut:innen im Frühbereich müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, wie die realen Betreuungsverhältnisse für die von ihnen betreuten Babys sind. Es ist klar, dass gerade die zu frühe und häufig auch unerwünschte Wiederaufnahme der Arbeit nach einem zu kurzen Mutterschaftsurlaub zu länger andauernden Trennungen der Babys von ihren primären Bindungspersonen und damit oft zu einem anhaltenden und relevanten mütterlichen Beziehungsstress führt. Dies kann sich dann in der entsprechenden Belastung in der Partner- und damit Elternschaft zeigen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf den nachdenklich stimmenden Buchbeitrag von Prof. Dr. Serge Sulz, Verhaltenstherapeut und Mitherausgeber der Fachzeitschrift «Psychotherapie». In Zusammenhang mit der von ihm geleiteten Studie zum Thema «Risiken der Betreuung in Kinderkrippen« stellt er fest, dass viele Babys aus arbeitsrechtlichen und finanziellen Gründen zu früh in eine Krippe gebracht werden, dort zu lange über den Tag bleiben und nicht selten durch ein überfordertes Betreuungspersonal «gehütet» und nicht richtig betreut werden. «Kinderkrippe ist damit assoziiert, dass ein Baby aus der Not heraus notdürftig untergebracht wird, weil die Eltern keine andere Lösung haben und ihnen sonst niemand hilft... (Sulz, 2019, S. 109)6. Die vielen und langen Tage in der Krippe führen für viele Kinder und ihre Familien zu einer grossen Belastung und Beziehungsstress. Diese zeigen sich in Schlafstörungen, vermehrtem Schreien und führt zu erschöpften Eltern, welche die Grundaufgabe, eine verlässliche, vertraute und verbindliche Beziehung mit ihrem Kind aufzubauen, nicht mehr erfüllen können. Aufgrund dieser Erkenntnisse fordern wir: Kinderärzt:innen und Psychotherapeut:innen, die diesen Stress von Müttern und Vätern und ihren Babys miterleben, müssen sich auch politisch für nachhaltigere und gesündere Entwicklungsbedingungen zum Aufbau und Erhalt von Eltern-Kind-Beziehungen engagieren. Sie müssen aufzeigen, was für Schäden auch für die Gesellschaft und die Volkswirtschaft entstehen, wenn Schulkinder, Jugendliche und junge Erwachsene nicht in einem geschützten Entwicklungsraum mit sicheren Bindungsbeziehungen aufwachsen können. Wir dürfen die Gesundheit der Kernfamilie nicht durch unangebrachten finanziellen und sozialen Druck gefährden. Unsere Kleinkinder und Säuglinge müssen in Entwicklungsräumen heranwachsen können, in denen – als Voraussetzung für eine körperliche und seelische Gesundheit – sichere Bindungsbeziehungen entstehen. Das ist die Basis für eine gute kognitive Entwicklung, Lernfähigkeit und soziale Kompetenzentwicklung. Kinderärzt:innen und Psychotherapeut:innen müssen benennen, wie sehr Stress in den ersten Lebensjahren die Gesundheit unserer Kinder und letztlich der ganzen Gesellschaft gefährdet. « » Eine demokratische, wirtschaftlich prosperierende und innovative Gesellschaft braucht kreative, kooperative und belastbare Menschen, die sich auch für ein gemeinschaftliches Miteinander in der Gesellschaft engagieren. Diese politischen Werte basieren auf essenziellen Grundlagen entwicklungspädiatrischer und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse wie sicherer Bindung und Beziehung in den familiären Systemen und sind nicht verhandelbar. Kinderärzte Schweiz hat sich seit nunmehr 30 Jahren mit viel Herzblut für das Wohl der Kinder eingesetzt. Es ist daher mein Wunsch, dass dieses Engagement zum Wohl und Erhalt auch der jungen Familien weiterhin von Fachpersonen im Frühbereich wahrgenommen wird: den Kinderpsycholog:innen, den Therapeut:innen und natürlich den Kinderärzt:innen. ■ Kommentar der Redaktionskommission: Das engagierte Plädoyer von Egon Garstick bedeutet aus unserer Sicht nicht, dass die Krippenbetreuung im Kleinkindesalter grundsätzlich infrage zu stellen ist. Viele Familien und Kinder wachsen damit gut auf und entwickeln sich ohne Probleme. Aber es gilt, situativ die Vor- und Nachteile einer solchen Betreuung zu beurteilen. Eltern, für welche diese Lösung eine emotionale Belastung bedeutet, sollen im Finden einer angepassten Lösung fachlich unterstützt werden.

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