KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2025

THEMENHEFTTEIL: 30 JAHRE KIS 03 / 2025 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 24 2. Interprofessionelle Teams werden zentrale Aufgaben der Versorgung übernehmen. Der Nachwuchsmangel in der Grundversorgung und die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems werden dazu führen, dass bestimmte Berufsgruppen Aufgaben übernehmen, die bisher ärztlich geprägt waren. Medizinische Praxisassistent:innen, Physician Assistants, Nurse Practitioners, Fachpersonen aus der Psychologie, Sozialarbeit und anderen Berufsfeldern werden zunehmend in multiprofessionellen Teams zusammenarbeiten. 3. Die Struktur der Grundversorgung wird sich grundlegend wandeln. Einzel- und Kleingruppenpraxen werden immer mehr verschwinden. An ihre Stelle treten grössere, ambulante Versorgungszentren, die in Netzwerken organisiert sind. Die Versorgung wird nicht mehr primär durch eine einzelne Person erfolgen, sondern durch ein Zentrumsteam, das gemeinsam die Verantwortung trägt. Diese Zentralisierung verspricht Effizienz, stellt aber neue Anforderungen an die Kommunikation und die Kontinuität in der Patient:innenversorgung. 4. Die steigenden Gesundheitskosten werden zu einer stärkeren politischen und finanziellen Steuerung führen. Der technologische Fortschritt, der demografische Wandel und die zunehmende Lebenserwartung lassen die Ausgaben für das Gesundheitssystem weiter steigen. Als Reaktion darauf wird die Versorgung künftig stärker reguliert: durch kostendämpfende Massnahmen, neue Finanzierungsmodelle und eine gezielte Steuerung der Ressourcenverteilung. Was muss die Praxispädiatrie tun, um trotz dieser Entwicklungen zukunftsfähig zu bleiben? Die vier beschriebenen Trends – Digitalisierung, Interprofessionalität, Zentralisierung und politisch-ökonomischer Steuerungsdruck – bedrohen das klassische Modell der niedergelassenen Kinderärzt:innen. Doch Veränderungen eröffnen immer auch Chancen, besonders wenn die Praxispädiatrie ihr Profil schärft und ihre Stärken bewusst in den Vordergrund stellt. Aus meiner Sicht sind dabei drei strategische Schwerpunkte für die Praxispädiatrie zentral: 1. Beziehung statt nur Behandlung: Vertrauen und Kontinuität als Alleinstellungsmerkmal der Praxispädiatrie. Digitale Tools können Daten erheben, Symptome analysieren und Empfehlungen aussprechen – aber sie ersetzen keine Beziehung. Kinder und Eltern brauchen mehr als Information: Sie brauchen menschliche Zuwendung, Vertrauen und Verlässlichkeit. Gerade in einer beschleunigten und komplexen Welt kann die Praxispädiatrie Orientierung und Halt geben. Was die Kinderärzt:innen stark macht, ist nicht nur ihr Fachwissen, sondern ihre kommunikativen Fähigkeiten, das Zuhören und genaue Beobachten – das sind menschliche Qualitäten, die helfen, die entscheidenden Weichen richtig zu stellen. Beziehungsarbeit ist keine «weiche» Zusatzleistung, sondern der Kern der ärztlichen Kompetenz in einer digitalisierten Medizin. Denn in einem System, in dem verletzliche Kinder und Familien unterwegs sind, braucht es Wärme – und eine Praxispädiatrie, die dem Gefühl des Alleingelassenseins von Eltern etwas entgegensetzt. 2. Den Alltag der Familien begleiten: Entwicklung, Erziehung und Elternsein ernst nehmen. Kinderärzt:innen dürfen sich nicht nur auf die Behandlung von akuten Krankheiten beschränken – sonst drohen sie in Zukunft an Bedeutung zu verlieren. Was Familien heute brauchen, ist eine persönliche und kompetente Begleitung im Alltag mit den Kindern: zum Beispiel bei Schlaf- und Schreistörungen, Autonomieentwicklung, Mediennutzung, Familienkonflikten, Schulstress oder psychosozialen Belastungen. Das sind entwicklungspädiatrische Fragen, die zwar durchaus medizinisch relevant, aber nicht rein krankheitsbezogen sind. Hier zeigt sich die kinderärztliche Kompetenz – in der Fähigkeit, verständlich zu erklären, die Entwicklung des Kindes einzuordnen, zu beruhigen und den Eltern eine Orientierung zu geben. Diese Art von «sprechender Medizin» ist nicht delegierbar und nicht durch digitale Systeme ersetzbar. 3. Anwältin der Kindheit: Die Praxispädiatrie als Stimme für die Kinder und Familien. In einer zunehmend technisierten, erwachsenenzentrierten und kostengetriebenen Gesundheitsversorgung drohen die Anliegen von Kindern und Familien unterzugehen. Praxispädiater:innen können und sollen hier eine aktive Rolle einnehmen – als Lobby für das Kindeswohl, als politische Stimme für eine gerechte Versorgung und für kindgerechte Systeme. Das bedeutet auch, sich stärker öffentlich zu positionieren, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu begleiten und die Strukturen der Kindheit mitzugestalten – im Gesundheitswesen, in der Bildung, in der Sozialpolitik. Das wird in Zukunft eine wichtige Aufgabe der kinderärztlichen Fachgesellschaften sein. Fazit Eine auf die klassischen Kinderkrankheiten reduzierte Praxispädiatrie wird im Gesundheitssystem der Zukunft kaum bestehen. Ihre Stärke liegt nicht in der

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