FRÜHLINGSTAGUNG 02 / 2025 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 16 Ärzt:innen & MPA Referat 3: (Chronische) Obstipation Obstipation im Kindesalter – oft banal, manchmal aber auch knifflig Die funktionelle Obstipation ist die häufigste funktionelle Störung im Kindesalter (ca. 10–20 % aller Kinder im Verlauf ihres Lebens). Die Lebensqualität der betroffenen Kinder kann massiv eingeschränkt sein – oft sogar stärker als bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Während die Prävalenz im Säuglingsalter leicht rückläufig scheint (u. a. durch bessere Stillraten und verbesserte Säuglingsnahrung), nehmen die Fallzahlen im Jugendalter zu – vermutlich infolge veränderter Lebensgewohnheiten, Bewegungsmangel und psychosozialem Stress. Obstipation kann sich sehr unterschiedlich präsentieren – nicht nur als seltener, harter oder schmerzhafter Stuhlgang, sondern auch mit unspezifischen Symptomen wie Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit, Analprolaps oder sogar Inkontinenz. Ein später Mekoniumabgang (>48 h), Gedeihstörungen, neurologische Auffälligkeiten oder anatomische Besonderheiten gelten als Alarmzeichen und müssen weiter abgeklärt werden. Auch ein Beginn vor der Beikosteinführung sollte hellhörig machen. Funktionelle Obstipation liegt vor, wenn über mindestens einen Monat zwei oder mehr Symptome wie seltene Stuhlentleerung, Stuhlinkontinenz, grosse und schmerzhafte Stuhlmengen oder Stuhlverhalt auftreten. Typisch sind auch sogenannte Rückhaltemanöver, bei denen Kinder den Stuhl bewusst zurückhalten – oft aus Angst vor Schmerzen. Die Stuhlfrequenz alleine zur Diagnosestellung ist unzureichend, wie z. B. bei der funktionellen Dyschezie des Säuglings, bei der sich dann weicher Stuhl entleert. Hingegen wird die Obstipation bei Stuhlschmieren oft übersehen. Die körperliche Untersuchung umfasst die abdominale Palpation und die Inspektion des Analbereichs. Eine digitale rektale Untersuchung ist nur bei konkreter Fragestellung indiziert. Bildgebende Verfahren (Röntgen, Sonografie, Transitzeitmessung) sind nur in Ausnahmefällen nötig. Blutuntersuchungen (TSH, Elektrolyte) sind spätestens bei Therapieversagen empfohlen, wobei dem Test auf Zöliakie wohl die grösste Bedeutung zukommt. Stuhluntersuchungen sind nicht empfohlen. Die Therapie gliedert sich in drei Phasen: Desimpaktion: Diese ist essenziell, um überhaupt mit der eigentlichen Therapie beginnen zu können. Zu bevorzugen ist die hochdosierte orale Gabe von Macrogol (PEG) in einer Dosis von 1–2(-3) g/kg KG/Tag über 3–6 Tage. Rektale Verfahren (z. B. Klistiere) sind gleich effektiv, aber weniger gut akzeptiert. Erhaltungstherapie: Auch hier ist Macrogol die Substanz der Wahl, da es nachweislich wirksamer und besser verträglich ist als z. B. Lactulose – welche von Säuglingen geschmacklich eher akzeptiert wird, aber deutlich öfter zur Reimpaktion führt. Die Dauer der Behandlung variiert individuell, in der Regel wird ein Zeitraum von mindestens 2–3 Monaten empfohlen – häufig auch deutlich länger. Ziel ist eine schmerzfreie, regelmässige Entleerung und die Vermeidung neuer Stuhlretention. Die Verabreichung des Macrogols funktioniert eigentlich immer in irgendeiner Form (in klarer Flüssigkeit rasch getrunken, untergemischt …), wobei bei vergleichbarem Effekt auf die Obstipation Macrogol mit Elektrolyten eher rausgeschmeckt wird. Nicht-pharmakologische Massnahmen: Toilettentraining (z. B. nach Mahlzeiten), Motivation durch Lob, Kalender oder Apps, sowie der Aufbau eines gemeinsamen Störungsmodells mit Eltern und Kind sind zentral. Ballaststoffe, vermehrtes Trinken oder Probiotika zeigen laut Studien keine signifikante Wirkung. Ein vorübergehender Verzicht auf Kuhmilch kann bei Kleinkindern im Einzelfall hilfreich sein – sollte aber stets mit Reexposition abgesichert werden. Früh erkannte und konsequent behandelte Obstipation hat in der Regel eine gute Prognose. Eine umfassende Betreuung (Nachkontrollen!), klare Kommunikation mit den Familien und ein strukturiertes Management sind entscheidend für einen langfristigen Therapieerfolg. ■ REFERENT: DR. MED. PASCAL MÜLLER FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN, SCHWERPUNKT PÄDIATRISCHE GASTROENTEROLOGIE, HEPATOLOGIE UND ERNÄHRUNG, CHEFARZT ADOLESZENTENMEDIZIN UND PÄDIATRISCHE PSYCHOSOMATIK, OSTSCHWEIZER KINDERSPITAL, ST. GALLEN AUTOR: DR. MED. MATTHIAS FERRETTI FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN, MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, WINTERTHUR Korrespondenzadresse: m.ferretti@hin.ch Angsterlebnisse im Zusammenhang mit Defäkation Autonomieentwicklung Toilettenphobie Intensives Spiel ADHS, … Angst vor Defäkation Stuhlrückhaltemanöver Schmerzhafte Defäkation Rektale Stuhlimpaktion Infektion GIT Allergische Colitis Trauma Übergriffe Anale Fissuren Ernährung (Wasser, Fasern, …) Seltene Stuhlentleerung Voluminöse Stühle Bauchschmerzen Blähungen Paradoxe Diarrhoe Enkoprese, … Pathophysiologie funkt. Obstipation Quelle: Pascal Müller
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