FRÜHLINGSTAGUNG 02 / 2025 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 14 Ärzt:innen & MPA Referat 1: Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden – wenn es auf den Bauch schlägt Corinne Légeret führt uns im ersten Vortrag durch den Magen-Darm-Trakt und seine vielfältigen funktionellen Beschwerden. Immer mehr wird unser Mikrobiom (rund ein Kilogramm Bakterien in unserem Darm, 800–1000 verschiedene Bakterienarten) erforscht und dessen Einfluss auf unser Befinden über den Weg der «Gut-Brain-Achse», die direkte Verbindung des Hirnstammes/Rückenmarks mit dem Magen-Darm-Trakt. Bei einer ungünstigen bakteriellen Zusammensetzung können proentzündliche Zytokine zu diversen Symptomen in unserem Körper führen. Die Definition der funktionellen Bauchschmerzen ist mit den ROM-IV-Kriterien festgelegt. Grundsätzlich sind es Beschwerden im Magen-Darm-Trakt (z. B. Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall), die immer wieder auftreten, ohne dass sie durch eine organische Erkrankung erklärt werden können. Die diagnostischen Kriterien müssen mindestens 4 Mal pro Monat, seit mind. 2 Monaten erfüllt sein (s. Bild 1). Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden sind häufig. Sie stellen einen der häufigsten Gründe für die Vorstellung in unseren Praxen dar. Jedes 3. Schulkind ist in verschiedener Ausprägung einmal davon betroffen! Die normalen Abklärungsbefunde stehen in Diskrepanz zur belastenden Situation, die die Familie mit dem leidenden Kind erlebt. Corinne Légeret betont, dass die Diagnostik bewusst und gezielt eingesetzt werden soll: Die wichtigste Therapie schliesslich ist das gute Aufklärungsgespräch. Hier kann das bio-psycho-soziale Erklärungsmodell der Entstehung der funktionellen Beschwerden hilfreich sein. Verschiedene Hilfsmaterialien stehen zur Verfügung (z. B. auf der Website meinebauchstelle.com mit hilfreichen Filmen, Informationen in Kinder-, Jugendlichen- und Eltern-Kapiteln, Symp- tomtagebüchern zum Download etc.; sowie auf der Webseite der Deutschen pädiatrischen Gesellschaft für Gastroenterologie, gpge.eu/infos-betroffene). Bei den therapeutischen Massnahmen steht die Stuhlregulation an erster Stelle (z. B. Flohsamen, Macrogolum, evtl. Desimpaktion mit hohen Dosen initial). Der kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansatz mit verschiedenen Massnahmen zur Entspannung und Ablenkung hilft, dem Teufelskreis der chronischen Schmerzen zu entkommen, und wirkt nachhaltig. Auch die Ernährung soll besprochen werden, wobei hier eine gesunde, ausgewogene Ernährung empfohlen wird, nach den neuesten Richtlinien ¾ pflanzlich und knapp ¼ tierisch (DGE-Ernährungskreis dge.de ➝ Gesunde Ernährung). Die sogenannte FODMAP-Diät kann sich positiv auswirken, da sie der Gasbildung entgegenwirkt. Zu beachten ist aber, dass jegliche Diätempfehlung gerade bei Jugendlichen zu einer ungesunden Fixierung auf das Thema Ernährung führen kann (Orthorexia nervosa). In der medikamentösen Therapie der funktionellen Bauchschmerzen haben klassische Schmerzmittel keine Empfehlung. Eher wirksam sind Spasmolytica (z. B. Butylscopolamin, Buscopan®). Phytopharmaka mit Pfefferminz- & Kümmelöl (Carmenthin®) wirken entblähend und entspannend. Pfefferminzöl (Colpermin®) wirkt spasmolytisch durch Blockade der Ca 2+-Kanäle der glatten Muskulatur und regulieren die Peristaltik. Auch wenn Probiotika (z. B. L. reuteri) in der Therapie vielversprechend tönen, ist die Wirkung gemäss den wenigen Studien bei Kindern bisher nur gering. Dasselbe gilt für functional food, d. h. mit Probiotika angereicherte Nahrungsmittel. Wer sich noch vertieft mit dem Thema beschäftigen möchte, dem sei das praxisnahe Buch von Corinne Légeret und Margarete Bolten empfohlen – mit vielen Materialien und Therapieschemata (mit Online-Zugang). ■ Funktionelle Magen-Darm-Störungen im Kindes- und Jugendalter, Ein Praxismanual, Margarete Bolten und Corinne Légeret, Springer Verlag, 978-3-662-64252-8 (ISBN) REFERENTIN: PD DR. MED. CORINNE LÉGERET FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN, LEITENDE ÄRZTIN PÄDIATRISCHE GASTROENTEROLOGIE UKBB AUTORIN: DR. MED. STEFANIE GISSLER WYSS FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN, MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, NEUENDORF Korrespondenzadresse: s.gissler@hin.ch ■ Sorgfältige Anamnese (auch Ernährung, Reisen, Familienanamnese, psychosoziale Auslöser, Einschätzung der Ursache durch Patient/Familie) ■ Klinische Untersuchung (Analinspektion/ev. Rektalpalpation) ■ Basislabor gemäss S3-Leitlinien: BB, CRP oder BSR, Lipase, ALAT, yGT, IgA, tTG-IgA, TSH, Krea, BZ, Urinstatus, Stuhl: Protozoen, Calprotektin ■ Red flags, die auf andere Ursachen hinweisen, sind: • FA für Inflammatory Bowel Disease (IBD), Zöliakie oder peptisches Ulkus • persistierende Schmerzen im rechten Ober- oder Unterbauch • Dysphagie • persistierendes Erbrechen • GI-Blutverlust • nächtliche Diarrhoe • Arthritis • perirektale Erkrankung • ungewollter Gewichtsverlust • Abfall der Wachstumskurve • verzögerte Pubertät • unerklärtes Fieber Apparative Untersuchungen können weitere Krankheiten ausschliessen, wobei eine Überdiagnostik vermieden werden soll. Über die Rolle des Ultraschalls bei unspezifischen Bauchschmerzen gibt es verschiedene Ansichten (unnötig oder beruhigend?), wie auch in der anschliessenden Fragerunde erkennbar wird. Bild 1 Quelle: pädiatrie schweiz
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx