ERFAHRUNGSBERICHT 01 / 2025 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 42 DR. MED. STEFANIE GISSLER WYSS MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, NEUENDORF Korrespondenzadresse: s.gissler@hin.ch Das Januar-Minisymposium im UKBB war unserem Präsidenten gewidmet, der seine Spitaltätigkeit als Gastroenterologe am UKBB beendet hat. Gastroenterologie & Ernährung: Verabschiedung Dr. med. Marc A. Sidler Minisymposium UKBB vom 9. Januar 2025 Foto: Universitäts-Kinderspital Beider Basel UKBB Im ersten Vortrag wurde von Dr. med. Mario Wehrle, Anästhesist USB / UKBB, ein tragischer Fall vom letzten Jahr akribisch aufgearbeitet. Ein einjähriges Kind wurde unter Reanimationsmassnahmen ins UKBB eingeliefert, nachdem es auf der Strasse einmalig Blut erbrochen hatte und zusammengebrochen war. Es zeigte sich eine unklare Massenblutung aus dem Mund, wobei die Blutungsquelle unklar war. Ein Team der Notfallmedizin, Gastroenterologie, Kinderchirurgie und HNO arbeitete gleichzeitig und für lange Entscheidungen blieb keine Zeit. Leider konnte das Kind nicht gerettet werden. Als Ursache fand sich eine Knopfbatterie im Magen, die aber zuvor im Oesophagus stecken geblieben war, dann durch physikalische Vorgänge dessen Wand penetrieren und die A. subclavia lädieren konnte. Dr. Wehrle hat den Anwesenden den Vorgang anhand einer eigenen Versuchsreihe mit Schinken, einer Knopfbatterie und vielen physikalischen und chemischen Formeln erklärt, und im Zeitraffer war im Video zu sehen, warum eine Knopfbatterien-Ingestion ein absoluter Notfall ist. Besonders tragisch ist es, wenn der Negativpol an einem grossen Gefäss anliegt, denn dann verflüssigt sich das Gewebe innert kürzester Zeit durch Laugenverätzung (innerhalb weniger Stunden möglich), anstatt dass durch die Hitze des Stromkreislaufs das Eiweiss koaguliert, wie es am Positivpol der Fall ist. Take-Home-Message war: ■ Ein Kind muss so schnell wie möglich in ein Zentrumsspital, wenn das Verschlucken bemerkt wird. ■ Honig neutralisiert, d. h. dem Kind (>1 Jahr) regelmässig Honig per os verabreichen, bis es im Spital ist ■ Knopfbatterien befinden sich in vielen Spielsachen. Am gefährlichsten sind die gängigen CR 2032 wegen ihrer Grösse, die im Oesophagus beim Kind stecken bleiben. ■ Im Falle einer Massenblutung aus dem GIT können die Differenzialdiagnosen aus der Erwachsenenmedizin nicht einfach übernommen werden. Die Knopfbatterie mit Erosion eines grossen Gefässes (z. B. Aorta / A. subclavia) ist im Kindesalter immer in Betracht zu ziehen. Leider ist weltweit kein Fall beschrieben, wo ein Kind in dieser Situation noch gerettet werden konnte. Danach referierte Dr. med. Pascal Müller, Chefarzt Adoleszentenmedizin und pädiatrische Psychosomatik Ostschweizer Kinderspital, warum die (familiären) Hypercholesterinämien im Kindesalter uns als Kinderärzt:innen interessieren sollten. Es handelt sich um einen Ausfall des LDL-Rezeptors. Die heterozygote Form kommt bei 1:200 Personen vor und verursacht bereits im Kindesalter erhöhte (LDL) Cholesterinwerte 2–3× über der Norm. Nur bei einem kleinen Teil wird die Diagnose bereits im Kindesalter gestellt. In der Schweiz besteht kein generelles Screening. Wer sollte also gescreent werden? ■ Erstgradige Nachkommen bei einer Familienanamnese mit frühzeitigen koronaren Herzkrankheiten oder kardialen Ereignissen. (Früh=Männer < 55J, Frauen <60J) ■ Screen-Labor: Tot. Cholesterin, Triglyceride (nicht nüchtern möglich) ■ Gezielt: Chol, HDL, LDL, VLDL, TG, Lipoprotein (a), Homocystein (nüchtern) Ideal wäre ein Screening bereits im Alter von 5–8 Jahren. Dr. Müller rät zu einem molekulargenetischen Nachweis der Mutation, die in verschiedenen Genen möglich ist und einen Einfluss auf die Therapieintensität haben kann. Standardtherapien sind neben Lifestyle- und Ernährungsmassnahmen auch die Statine, von denen verschiedene bereits im Kindesalter zugelassen sind. Eine IV-Anmeldung unter Ziffer 453 (Stoffwechselstörung) ist möglich. Im dritten Vortrag schliesslich brachte uns Prof. Dr. med. Raoul Furlano, Abteilungsleiter Gastroenterologie UKBB, die Zukunftsmedizin näher und warum und wie wir Kinderärzt:innen die Künstliche Intelligenz (KI) nutzen können und sollen. Ein interessanter Einblick in ein Gebiet, dass zumindest ich noch wenig nutze – es führt aber kein Weg daran vorbei, sich damit auseinanderzusetzen. KI revolutioniert die Medizin durch präzise Diagnosen, personalisierte Therapien und optimierte Abläufe. Sie findet Anwendung bei der Analyse von EKG-Daten, der Bildgebung und der Krankenhausverwaltung. Ihre Stärken liegen in Effizienz und Innovation, doch Herausforderungen wie Datenschutz, ethische Fragen und die Abhängigkeit von Datenqualität bleiben bestehen. Studien zeigen, dass KI unerfahrene Ärzt:innen übertreffen, erfahrene aber (vorerst) nicht ersetzen kann. KI hat enormes Potenzial, sollte jedoch kritisch und mit gesundem Menschenverstand genutzt werden. Anschliessend verabschiedeten Prof. Furlano und seine Kollegin PD Dr. med. Corinne Légeret Marc Sidler warm und herzlich aus ihrer Abteilung. Die lange Freundschaft war spürbar und in der Bildershow sichtbar. Marc wird sein Tätigkeitsfeld auf seine eigene Praxis als Kinderarzt und Gastroenterologe einschränken, dies auch zugunsten der Berufspolitik, wo er sich als unser geschätzter Präsident in unzähligen Stunden für «Kinderärzte Schweiz» einsetzt. ■
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