01 / 2025 ERFAHRUNGSBERICHT KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 39 REFERENT:INNEN: LEA HUNGERBÜHLER RECHTSANWÄLTIN, M.A. HSG IN LAW AND ECONOMICS, GRÜNDERIN UND PRÄSIDENTIN DES VEREINS ASYLEX, ZÜRICH DR. MED. FABIENNE JÄGER FACHÄRZTIN KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH UND FACHÄRZTIN PRÄVENTION UND GESUNDHEITSWESEN FMH, MUTTENZ BEAT KELLER LEITER BETREUUNG UND STV. GESCHÄFTSFÜHRER, PEREGRINA-STIFTUNG, FRAUENFELD DR. MED. BODIL LEFORESTIER-STRAUME FACHÄRZTIN KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, RORSCHACH LIC. PHIL. SARA MICHALIK-IMFELD FACHPSYCHOLOGIN FÜR PSYCHOTHERAPIE FSP, GESCHÄFTSLEITUNG Psy4Asyl, AARAU DR. MED. ANITA NIEDERER-LOHER FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, FACHÄRZTIN FÜR INFEKTIOLOGIE, OBERÄRZTIN MBF IM OSTSCHWEIZER KINDERSPITAL IN ST. GALLEN Wir sind täglich in der Praxis mit Migrationsmedizin konfrontiert, welche deutlich mehr als das umfasst als das Wissen um «exotische» Infektionskrankheiten. KIS Fortbildung Migrationsmedizin in der pädiatrischen Praxis vom 15. November 2024 sundheitssystem kennen, die Impfungen nicht adäquat sind und die weitere Betreuung / Nachkontrolle nicht immer geregelt ist. Bei Scabies ist immer eine Kombinationstherapie lokal (Benzylbenzoat oder Permethrin) sowie eine systemische Therapie mit Ivermectin (offlabel ab 5 kg anwendbar) zu bevorzugen. Wichtig: Alle Familienmitglieder behandeln! Die kutane Diphtherie tritt häufig nach Insektenstichen oder mit einer Co-Infektion (Staphylokokken / Streptokokken) auf. Klinisch zeigt sie sich in nicht abheilenden ulzerierenden Wunden. Die Klinik entscheidet über das Procedere: ■ ohne Fieber/Symptome: ambulantes Management nach Abstrich (Rachen und Wunde) mit Clindamycin, Azithromycin oder Doxycyclin 7–10 Tage. Wird im ambulanten Setting therapiert, soll bis zum Erhalt des Abstrichresultats eine Isolierung stattfinden. ■ Fieber oder zusätzliche Symptome: stationäre Zuweisung. Neben den Hautinfekten ist die TB nicht zu vergessen. Bei Kindern und Jugendlichen betreffen 80–90% der Infektionen die Lunge (cave: das Screening ist nicht sensitiv genug). Bei persistierendem Fieber, Husten und nicht abheilender Pneumonie dran denken und die entsprechenden Abklärungen einleiten. Das Risiko bei Kindern unter 3 Jahren für einen disseminierten Verlauf ist hoch und bei unter 5-jährigen Kindern eine rasche Progression häufiger auftretend. Sara Michalik-Imfeld berichtete lebhaft von ihrem Engagement als Psychologin mit dem Schwerpunkt asylsuchende Personen im Kanton Aargau (www.psych4asyl.ch). Die betroffenen Menschen leiden häufig unter Mehrfachbelastungen: Situation im Ursprungsland (Krieg, Naturgewalt etc.), Belastungen auf der Flucht (Gewalt, Hunger, Tod etc.), und im Exil (Einsamkeit, Langeweile, Isolation, Sorge um Familie, Trennung, Verständnisschwierigkeiten, Finanzen, Diskriminierung etc.). Die Betreuung soll durch ein «stepped care»-Modell auf verschiedenen «Schultern» getragen werden: Öffentlichkeitsarbeit / Sensibilisierung, Traumasensibilisierung / Weiterbildungen, Beratung / Supervision und Coaching für Betreuungs- und Bezugspersonen, gesundheitsfördernde Workshops, psychologische Gruppentherapie und psychologische Beratung und Psychotherapie im Einzelfall. Kinder werden stark von den Reaktionen ihrer Eltern beeinflusst, weshalb es Fabienne Jäger leitet in die Thematik Migrationskinder ein und führt uns rasch vor Augen, dass damit nicht nur Flüchtlinge, sondern eben auch Kinder mit Migrationshintergrund eingeschlossen sind, selbst wenn sie in der Schweiz geboren wurden. Von den rund 30 000 Menschen, die aktuell in der Schweiz Asyl suchen, sind ca. 40% Kinder und Jugendliche und 25% sind UMAs (unbegleitete minderjährige Ausländer:innen). Je nach weltpolitischer Situation flüchten Menschen aus unterschiedlichen Regionen der Welt. Der Prozess für Asylsuchende scheint auf dem Papier klar, die Realität ist aber komplexer. Es braucht viel Freiwilligenarbeit, um Kinder und Familien zu unterstützen. Der Bereich der Gesundheit im Asylbereich ist herausfordernd, die Kinder und Jugendlichen können uns unbekannte Krankheitsbilder haben und viele Leiden wurden nicht durch Screenings oder Vorsorgen entdeckt. Aufgrund der Sprachbarriere, des fehlenden Verständnisses für unser präventives Gesundheitswesen sowie teils ungenügenden Wissenstransfers unterschiedlicher Stellen ist eine gute medizinische Betreuung eine Challenge. Für eine adäquate Beurteilung müssen drei Punkte wesentlich miteinfliessen: Herkunft – Transit – Aufnahmeland. Bei der komplex anmutenden Betreuung darf aber nicht vergessen werden, dass das Wichtigste für diese Familien ist, sich sicher zu fühlen. Ein Lächeln, der respektvolle Umgang und sich willkommen fühlen stärkt das Vertrauen und hilft uns mehr zu erfahren und von den Familien zu lernen, was schlussendlich zu einer verbesserten medizinischen Betreuung führt. Nicole Ritz holt uns wieder in den medizinischen Alltag zurück. Schweizweit ist die medizinische Versorgung in den ca. 50 Aufnahmezentren (Bund, Kantone, Notzentren) unterschiedlich. Selbst die Screening-Guidelines unterscheiden sich in diversen europäischen Ländern und auch die schweizerischen Richtlinien lassen Interpretationsspielraum offen. Häufige Gesundheitsprobleme sind vor allem die aktive TB, Hepatitis B / C, HIV (abnehmend), intestinale Infektionen, Infektionen mit Schistosomiasis oder Strongyloides und Malaria. In der Notfallsituation vermuten wir häufig exotische Krankheiten, jedoch sind die üblichen Infekte auch bei Migrationskindern am häufigsten. Zudem sind nicht immer Infektionskrankheiten die Ursache von Beschwerden (z. B. Anämie, Mangelernährung). In der Beratung der Eltern ist zu beachten, dass diese kein präventives Ge-
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