KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2025

REDAKTIONELLE SEITEN 01 / 2025 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 34 Als Reaktion auf die zunehmende Digitalisierung wurden in den letzten Jahren unterschiedliche Empfehlungen zur Bildschirmzeit von Kindern formuliert (siehe Sticca et al., 2020). Mittlerweile ist klar, dass diese Empfehlungen wichtige Aspekte nicht berücksichtigen und die Auswirkungen der Mediennutzung je nach Kind, Medieninhalt oder Kontext unterschiedlich ausfallen können (für einen Überblick siehe Barr et al., 2024). Ein in der Forschung häufig thematisierter kontextueller Faktor ist der sozio-ökonomische Status (SES) der Familie, welcher unter anderem das Einkommen, die Wohngegend, den Beruf der Eltern oder das Ausbildungsniveau berücksichtigt. Studien zeigen, dass Kinder aus Kontexten mit tieferem SES tendenziell häufiger digitale Medien nutzen (Bernath et al., 2020) und die Nutzung der Medien – wegen Mehrfachbelastung der Eltern – nicht in optimaler Weise geschieht (z. B. zur Ablenkung bei Frustäusserungen des Kindes) (Then et al., 2024). Nicht untersucht ist, ob solche unerwünschten Nutzungsmuster den Familien bewusst sind und welche konkreten Herausforderungen mit digitalen Medien diese Familien im Alltag erleben. Im Rahmen einer am Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI) durchgeführten Studie wurden im März 2024 in einer aufsuchenden Vorgehensweise insgesamt 107 Eltern in 3 Kinderarztpraxen und 5 Familienzentren anonym am Tablet befragt. Diese befanden sich an Standorten mit einer höheren Dichte an Familien mit tieferem SES (Abbildung 1). Um Diskriminierung vorzubeugen, wurden alle PATRIC GRILL MSc PD DR. HABIL. PATRICIA LANNEN INSTITUTSLEITERIN DR. PHIL. RAQUEL PAZ SENIOR RESEARCHER MARIE MEIERHOFER INSTITUT FÜR DAS KIND (MMI), ZÜRICH, ASSOZIIERTES INSTITUT DER UNIVERSITÄT ZÜRICH Korrespondenzadresse: pazcastro@mmi.ch Im Umgang mit digitalen Medien in der frühen Kindheit stehen Eltern vor vielfältigen Herausforderungen. Mit dem digitalen Ratgeber KiDiMCoach sollen Eltern gezielt unterstützt und Fachpersonen entlastet werden. Herausforderungen von Eltern mit Kleinkindern im Umgang mit digitalen Medien angetroffenen Eltern zur Umfrage eingeladen, sofern sie mindestens ein bis zu 5 Jahre altes Kind hatten. Von den befragten Eltern war die Mehrheit weiblich (77%) und im Durchschnitt 35 Jahre alt. Einen ein- oder zweiseitigen Migrationshintergrund wiesen 77% der Eltern auf und 34% gaben einen tieferen bzw. 66% einen höheren SES an. Die Ergebnisse der Befragung zeigten klar: Eltern von Kleinkindern berichteten von weit über 50 unterschiedlichen Herausforderungen rund um den Umgang mit digitalen Medien! Die meistgenannte Herausforderung bei allen Eltern war die «Umsetzung von Regeln (Medienzeit einhalten)». Bei Eltern mit tieferem SES war dies gefolgt von «Einstellungsunterschieden im Umfeld (Partner:in / Verwandtschaft hat andere Ansichten zum Mediengebrauch)» und bei Eltern mit höherem SES von «ungewollter Medienexposition (Kind nutzt Medien, weil Eltern oder Geschwister dies tun)». Die Eltern wurden auch gefragt, ob sie in Bezug auf die kindliche Mediennutzung etwas verändern möchten. Es zeigte sich, dass diese Veränderungsbereitschaft bei allen etwa gleich ausfiel: 25,7% der Eltern mit tieferem SES und 21,3% der Eltern mit höherem SES möchten demnächst etwas daran ändern. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die Sorge um das Kind und um seine gute Entwicklung Eltern über alle Kontexte hinweg verbindet. Eltern erleben jedoch unterschiedliche Herausforderungen rund um den Alltagsumgang mit digitalen Medien. Um Familien individueller unterstützen zu können und gleichzeitig die Ressourcen von Fachpersonen zu schonen, entwickelt das MMI in Kooperation mit dem Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung (ISGF) den digitalen Elternratgeber KiDiMCoach. Ziel des KiDiM-Coach ist es, Fachpersonen darin zu befähigen, Eltern von Kleinkindern mithilfe eines WhatsApp-Tools konkrete Unterstützung zu bieten. Weitere Informationen zum Projekt und Möglichkeiten zur Teilnahme sind unter https://www.mmi.ch/de-ch/ forschung/forschungsprojekte/grundlagenforschung ersichtlich. ■ Abbildung 1: Erhebungsstandorte KiDiM Quelle: Stadt Zürich, Stadtentwicklung www.mmi.ch

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