KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2025

01 / 2025 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 29 personen zu gewöhnen. Solche Momente erforderten viel Einfühlungsvermögen und klare Kommunikation, um die Nachfolger:innen zu stärken und das Vertrauen der Patient:innen in die neue Leitung zu festigen. Gerade deshalb erwiesen sich die überlappenden Arbeitszeiten während meines letzten Jahres in der Praxis als hilfreich: Sie ermöglichten es mir, den Übergang aktiv zu begleiten und sowohl dem Team als auch den Patient:innen Sicherheit im Wechselprozess zu geben. Indem ich die neue Praxisleitung nach und nach in alle Abläufe einband und meine Rolle bewusst zurücknahm, konnten wir gemeinsam Vertrauen aufbauen – ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Übergabe. ■ Wie motiviert man junge Ärztinnen und Ärzte, eine bestehende Praxis zu übernehmen? Transparenz ist entscheidend. Ich habe meinen Nachfolger:innen vollen Einblick in alle Bereiche der Praxis gewährt und sie stets unterstützt. Wichtig ist auch, den Mehrwert einer bestehenden Praxis hervorzuheben: ein eingespieltes Team, das sich freute, weil sie die Praxisassistierenden kannten und gerne hatten, ein treuer Patient:innenstamm, der sich auf die schon Bekannten freute, und die Erfahrung, die man selbst als «Mentor:in» mit einbringen kann. Bei meiner Praxis waren dies 14 langjährige Mitarbeitende, darunter spezialisierte Fachkräfte, die den Praxisalltag perfekt beherrschten. Zudem waren etwa 90 Prozent der Patient:innen seit Jahren bei uns und vertrauten auf unsere Betreuung. Solche Zahlen und Strukturen bieten jungen Nachfolgenden einen enormen Startvorteil, den man bei einer Neugründung nicht hätte. Gerade die Kontinuität sorgt dafür, dass die Praxis direkt erfolgreich weiterlaufen kann. Diese «soft factors» sind oft wertvoller als finanzielle Anreize. ■ Wir sprechen ja in der Schweiz nicht so gerne über Geld. Wollen wir dieses Tabu brechen? Ja, denn der Wert einer Praxis ist wichtig und berechnet sich aus zahlreichen Kriterien wie einer greifbaren Infrastruktur und vielen weichen Daten. Ich habe für die Berechnung des möglichen Verkaufswerts eine professionelle Firma engagiert. Das kostete zwar ein paar Tausend Franken, hat sich aber für mich gelohnt. Über den Daumen gepeilt schätzt man den Wert auf 20% des Jahresumsatzes ein. Dann kommen Faktoren dazu, die den Preis erhöhen oder senken. Schlussendlich ist es jedoch der Markt, der entscheidet. Ich habe von unserem Berater gelernt, dass viele den Fehler machen, erst gegen Schluss der Verhandlungen über Geld zu sprechen. Wir haben auf sein Anraten hin die Verhandlung der finanziellen Aspekte von Anfang an diskutiert. Überhaupt hat sich die professionelle Begleitung für uns alle gelohnt. Beide Seiten hatten unterschiedliche Vorstellungen und sich nach einigem Hin und Her getroffen. Und nach dieser vereinbarten Entscheidung hatten wir ganz viel Freiheit, alle weiteren Aspekte zu besprechen. ■ Wie hast du den Abschied von deiner Praxis erlebt? Es war eine Mischung aus Wehmut und Erleichterung. Der bewusste Schritt, nach der definitiven Übergabe nicht mehr in der Praxis zu sein, war richtig. Es gab natürlich viele emotionale Momente – Patient:innen, die sich verabschiedeten, Mitarbeitende, die sich bedankten. Das Wichtigste war jedoch zu sehen, dass die Praxis gut weitergeführt wird und ich sie in kompetenten Händen zurücklassen konnte. Meine Erwartungen wurden auf jeden Fall übertroffen. ■ Hast du letzte Tipps für Ärzt:innen, die ihre Praxis übergeben möchten? Einerseits: Beginnt frühzeitig und plant den Prozess langfristig! Die Suche nach passenden Nachfolger:innen braucht Zeit – und auch Glück. Offenheit und die Bereitschaft, loszulassen, sind essenziell. Andererseits: Wenn ihr nach der Übergabe noch für eine gewisse Zeit in der Praxis mitarbeiten solltet: Redet euren Nachfolger:innen nicht hinein, sondern äussert euch nur, wenn ihr gefragt werdet. Diesen wichtigen Rat hat mir mein Lehrer und Freund Remo Largo mit auf den Weg gegeben. Und denkt daran: Eine gelungene Praxisübergabe ist nicht nur ein geschäftlicher, sondern auch ein emotionaler Erfolg. Sepp Holtz hat uns beeindruckt mit seiner Offenheit und seinem Engagement für die nächste Generation von Kinderärztinnen und -ärzten. Seine Erfahrungen sind ein wertvoller Leitfaden für alle, die ähnliche Schritte planen. Herzlichen Dank für das inspirierende Gespräch! ■ Unser Weg zur Praxisübernahme Der Übergabeprozess mit Sepp verlief für uns ideal. Schon während der Praxisassistenzzeit entdeckten wir unsere Begeisterung für die Praxispädiatrie und das Arbeiten in einer Gemeinschaftspraxis. Dass wir keine Einzelpraxis übernehmen wollten, war uns früh klar – Sepps Angebot kam also perfekt. Besonders hilfreich war die einwöchige Zusammenarbeit während der Assistenzzeit, ebenso wie die professionelle Begleitung durch eine Psychologin und die rechtliche und formale Unterstützung durch FMH Services. Ein entscheidender Vorteil war das zusätzliche Jahr, in dem wir alle drei parallel in der Praxis arbeiteten – Sepps respektvolle Zurückhaltung erleichterte die Übergabe enorm. Heute führen wir die Praxisassistenz weiter und prägen mit unserem grossartigen Team zunehmend unsere eigene Handschrift. Und wenn die Zeit kommt, freuen wir uns darauf, die Praxis ebenso gut an die nächste Generation weiterzugeben. Benjamin Dinkel & Hannah Gräber

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