FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 01 / 2025 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 28 ■ Daniel Brandl (DFB): Wann hast du dich das erste Mal mit dem Thema Praxisübergabe beschäftigt? Sepp Holtz (SH): Rückblickend begann der Prozess schon vor etwa zehn Jahren, als ich erstmals überlegte, wer meine Praxis einmal übernehmen könnte. Ein früherer Praxisassistent, den ich fragte, ob er sich eine überlappende Zeit vorstellen könnte, lehnte ab. Seine Argumentation war einleuchtend: Er wollte vermeiden, dass Patient:innen weiterhin auf mich als Referenzfigur zurückkommen, während er die Praxis führt. Dieser Moment hat mir klar gemacht, wie wichtig es ist, sich frühzeitig mit den emotionalen und organisatorischen Aspekten einer Übergabe auseinanderzusetzen. ■ Wie lange sollte eine Praxisübergabe idealerweise dauern? Meiner Erfahrung nach benötigt man mindestens zwei Jahre für eine reibungslose Übergabe. In meinem Fall war es ein noch längerer Prozess. Eine grosse Rolle spielte dabei die Praxisassistenz, durch die ich immer wieder potenzielle Nachfolger kennenlernte. Zum Beispiel gab es eine junge Kollegin, die während ihrer Assistenzzeit bei uns einen tiefen Einblick in alle Abläufe der Praxis verlangte und sich zunehmend für eine Übernahme interessierte. Auch die regelmässigen Supervisionsgespräche mit den Assistenzärzt:innen boten die Gelegenheit, sowohl ihre fachlichen Fähigkeiten als auch ihre menschlichen Werte kennenzulernen. Besonders eindrücklich war, wie einige von ihnen nach mehreren Jahren noch immer Kontakt hielten und ihr Interesse an der Praxis zeigten. Die intensive Zusammenarbeit über Jahre ermöglichte es mir, geeignete Personen nicht nur fachlich, sondern auch persönlich einzuschätzen. ■ Welche Rolle spielt die Praxisassistenz denn für potenzielle Nachfolger:innen? Eine zentrale. Wenn Praxisassistent:innen früh Verantwortung übernehmen können, profitieren sie in mehrfacher Hinsicht: Sie sammeln wertvolle praktische Erfahrungen, entwickeln Eigeninitiative und bauen Sicherheit in ihrer Rolle auf. Zum Beispiel erhielten sie bei uns die INTERVIEWER: DR. DANIEL F. BRANDL, PhD GESCHÄFTSFÜHRER KINDERÄRZTE SCHWEIZ, DIETIKON Korrespondenzadressen: sepp.holtz@gmail.com benjamin.dinkel@hin.ch hannah.graeber@hin.ch daniel.brandl@kis.ch Der erfahrene und unseren Mitgliedern bestens bekannte Kinder- und Jugendarzt Dr. med. Sepp Holtz hat seine Praxis im Juli 2022 nach drei Jahrzehnten erfolgreich an ein junges Team übergeben. Seine Praxis war eine der grössten dieser Art in der Region Zürich, mit einem Team aus 14 Fachkräften und einem breiten Leistungsspektrum von Entwicklungsdiagnostik bis zu medizinischer Hypnose. Die Übergabe stellte eine besondere Herausforderung dar, nicht nur wegen der Grösse der Praxis, des umfangreichen Patientenstamms, sondern auch wegen der hohen Standards, die in der Praxis etabliert waren. Sepp setzte auf eine sorgfältige Planung und persönliche Auswahl seiner Nachfolgenden, um eine nahtlose Weiterführung sicherzustellen. Im Gespräch mit uns teilt er wertvolle Einblicke und Tipps zur Praxisübergabe – ein Prozess, der weit mehr umfasst als das Abschliessen eines Vertrages. Was gehört zu einer gelungenen Praxisübergabe? Ein Gespräch mit Dr. med. Sepp Holtz Möglichkeit, eigenständig bestimmte Projekte zu leiten oder Fortbildungen zu organisieren. Durch den Einsatz von Videos als Weiterbildungstool konnten sie zudem ihr fachliches Wissen reflektieren und vertiefen. Eine offene Feedbackkultur spielte dabei eine grosse Rolle: Nach Patient:innenbesuchen oder in Supervisionen analysierten wir gemeinsam die Abläufe und Entscheidungen, um kontinuierlich Verbesserungen zu finden. Diese Kombination aus Verantwortung und Lernen machte die Arbeit nicht nur abwechslungsreich, sondern auch besonders motivierend. In meiner Praxis war es über 30 Jahre hinweg selbstverständlich, jungen Kolleg:innen möglichst viele Einblicke zu gewähren – von der Personalführung bis zur Abrechnung. Das stärkte ihr Vertrauen in die eigene Kompetenz und bereitete sie gezielt auf die Herausforderungen der Praxisleitung vor. ■ Aber eine Garantie, geeignete Nachfolger:innen zu finden, gibt es nicht? Nein, man muss auf jeden Fall auch grosses Glück haben und sich frühzeitig um die Nachfolgeregelung kümmern. Es läuft nicht einfach so jemand durch die Türe und sagt: «Ja cool, ich kaufe jetzt deine Praxis.» Ich würde nicht erst kurz vor dem Pensionsalter anfangen, Praxisassistierende auszubilden. Doch selbst wenn man es frühzeitig angeht, hat man trotzdem nicht unbedingt das Glück, jemanden zu finden, wie ich bei zahlreichen Kolleg:innen in meinem Umfeld miterlebt habe. ■ Gab es Konflikte oder Herausforderungen während der Übergabe? Natürlich. Mit meinen Nachfolger:innen konnte ich abmachen, noch ein Jahr mit kleinem Pensum mitzuarbeiten. Trotzdem gab es Situationen, in denen Patient:innen oder Mitarbeitende weiterhin auf mich zukamen, obwohl ich offiziell nicht mehr verantwortlich war. Ich erinnere mich an eine Familie, die mich unbedingt für ein wichtiges Schulgespräch hinzuziehen wollte, da ich ihren Sohn jahrelang betreut hatte. Obwohl ich ablehnen musste, zeigte mir diese Situation, wie schwer es für manche war, sich an neue Strukturen und Ansprech (v.r.n.l.) Die beiden Nachfolger:innen: Beni Dinkel und Hannah Gräber, Sepp Holtz, mit dem letzten Praxisassistenten von Sepp und dem ersten von Hannah und Beni: Carlo Grete. Foto: Barbora Prekopova
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