03 / 2024 EDITORIAL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 5 Liebe Leserinnen und Leser Wann ist ein Mensch erwachsen? Wer oder was definiert seine Volljährigkeit, seine Mündigkeit, seine vollständige Urteilsfähigkeit und seine Fähigkeit, selbstverantwortlich sein Leben und damit auch das seines Umfeldes mitzugestalten? Juristisch sind klare Definitionen gegeben, auch wenn diese natürlich nur eine statistische Wahrscheinlichkeit abbilden, oben genannte Anlagen ausreichend entwickelt zu haben. Das wird unter anderem bei den Diskussionen um das richtige Alter für das aktive Wahlrecht sichtbar. Bis 1991 galt als adäquates Wahlalter der erreichte 20. Geburtstag, seither ist es bekannterweise der 18te. Seit 2019 gab es ernsthafte parlamentarische Debatten um das Wahlrecht ab 16; diese Vorlage wurde im Februar 2024 definitiv nicht zur Volksabstimmung zugelassen, es bleibt auf nationaler Ebene (vorerst), wie es ist. Für uns Kinderärzt:innen ist es wahrscheinlich ein meist mit Wohlwollen begleitetes Lebensalter, in dem die Mündigkeit der Patient:innen immer sichtbarer wird. In diesem individuell verlaufenden Prozess des Erwachsenwerdens können wir auch keine festgeschriebenen Zeitpunkte nennen, die die Ablösung von unserer Betreuung als einen Aspekt dieser Entwicklung definieren. Daher widmen sich die Themenartikel dieser Ausgabe manchen Aspekten der Transition, besonders natürlich vor dem Hintergrund chronischer und herausfordernder Erkrankungen. Zur Rolle eines Kinderarztes und einer Kinderärztin gehören nicht nur die vorausschauende, umfassende und einfühlsame Behandlung und Unterstützung im Kindes- und Jugendalter, sondern auch das Vorbereiten und Loslassen eines Menschen ins Erwachsenenalter. Nach einer langjährigen, oftmals sehr vertrauensvollen Begleitung durch verschiedene Entwicklungsstufen kommt die Kunst des Loslassens an der letzten Haltestelle vor der Abfahrt in die Erwachsenenmedizin in unserem Alltag, aber auch in Lehrbüchern und Fortbildungen, noch immer zu kurz. Während Erhart von Ammon, ein betroffener Vater und Geschäftsführer von transition1225.ch, aufzeigt, wie wichtig ein geordneter Prozess wäre, zeigt das Beispiel aus dem Ostschweizer Kinderspital, wie es sein könnte, und die Gespräche mit einem jungen Menschen und den involvierten Ärztinnen und Ärzten, wie es effektiv ist. Die abschliessende Feststellung von Ammon, dass ein Drittel der Transitionen strukturiert, ein weiterer Drittel unstrukturiert und ein verbleibender Drittel gar nicht und dann plötzlich und unvermittelt (mit der Pensionierung der kinderärztlichen Vertrauensperson) stattfindet, ist im Licht dieser vielfältigen und letztlich hoffnungsvollen Artikel in erster Linie ein Auftrag an uns alle, die ärztliche Kunst des geordneten Loslassens in unserer Arbeit und unseren Strukturen bewusst und mit den nötigen Ressourcen zu integrieren. In den dritten «KIS News» jedes Jahres informiert der Vorstand im Jahresbericht des per Ende Juni abgeschlossenen Geschäftsjahres über die vielfältigen Verbandsaktivitäten. Stefanie Gissler Wyss nimmt uns mit auf eine Reise nach Kambodscha, in eines der Kinderspitäler der Stiftung Kantha Bopha von «Beatocello» Beat Richner. Mit unserem Vorgeschmack auf die Jahrestagung sowie unseren Kursberichten möchten wir immer wieder zur eigenen Teilnahme an diesen Veranstaltungen inspirieren. Und passend zum Thema Transition möchten wir euch auch auf die Biografie von Remo Largo aufmerksam machen, der (natürlich) dieses Thema ebenfalls bearbeitete. Auch er hat darauf hingewiesen, dass das Gehirn bis in die Mitte des dritten Lebensjahrzehntes ausreift und das Erwachsenwerden eben nicht nur anhand der genannten Lebensjahre festgelegt werden kann. Vieles kommt also immer wieder zu früh, zu spät oder auch mal gerade richtig – jedenfalls ist alles in Entwicklung, so hoffentlich auch euer Lesevergnügen mit dieser Ausgabe der KIS-News. Für die Redaktionskommission Martin Schmidt und Jürg Streuli Transition – Professionelles Kofferpacken und Abschiednehmen auf dem Weg in die Erwachsenenmedizin DR. MED. MARTIN SCHMIDT FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, ÄRZTE AM WERK, RHEINFELDEN Korrespondenzadresse: martin.schmidt@hin.ch PD DR. MED. DR. SC. MED. JÜRG C. STREULI FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, LEITENDER ARZT UND CO-LEITUNG DES PACT AM OSTSCHWEIZER KINDERSPITAL UND LEITER DER STIFTUNG DIALOG ETHIK, ZÜRICH Korrespondenzadresse: juerg.streuli@hin.ch Die Themen der folgenden Hefte sind: News 04/2024: Jahrestagung News 01/2025: Die pädiatrische Praxis als KMU News 02/2025: Kinderkardiologie News 03/2025: Jubiläumsausgabe: 30 Jahre Kinderärzte Schweiz
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