ERFAHRUNGSBERICHT 03 / 2024 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 38 Teenager im Fokus Bevor wir uns dem Erfahrungsbericht dieses inspirierenden Kurses widmen, möchte ich Sie einladen, an Ihre eigene Teenagerzeit zu denken. Erinnern Sie sich an Situationen der Ungewissheit bezüglich Veränderungen an Ihrem Körper? An den Wunsch nach Freiheit und Autonomie, begleitet von einem Bedürfnis nach Sicherheit und Nähe? An Auseinandersetzungen mit Peers oder der Familie? An die Ambivalenz zwischen Dazugehören und Individualität? An Gedankensackgassen und unverständliche Gefühle? An das beharrliche Festhalten an Meinungen, von denen Sie vielleicht selbst nicht ganz überzeugt waren? Es war eine nicht ganz einfache Zeit, bereits vor 30 oder 50 Jahren. Wenn wir schon haderten, wie mag es für die heutige Jugend sein? In einer Welt, in der Grenzen verschwimmen – Geschlechter, Realität und Fiktion, Elektronik und Analoges, Krieg und Frieden, Beziehung und Unabhängigkeit – stelle ich mir die Identitätsfindung heute besonders schwierig vor. Die heutige Jugend ist konfrontiert mit hohen Erwartungen: gute Ausbildung, Gesundheitsbewusstsein und Sozialkompetenz. Zusätzlich hinterlassen wir immense Aufgaben, deren Lösung wir selbst nicht bewältigt haben. Die erneute Auseinandersetzung mit dem heutigen Teenagerdasein und das frustrierende Gefühl, wenn mir Teenager in den Sprechstunden entgleiten und sich möglicherweise unverstanden fühlen, waren der Grund für meine Teilnahme an diesem Kurs. Vom 15. bis 16. März 2024 verbrachte eine Gruppe von Praxispädiater:innen zwei Tage in Basel, um Teenager in den Fokus zu stellen. Dres. med. Ines Schlegel und Michiko Bergen eröffneten mit einer Auffrischung zu Jugendgynäkologie, Zyklusstörungen, Dysmenorrhoe, abnormalen uterinen Blutungen und Kontrazeption. Anschliessend lehrte uns M. Sc. Julia Gros (Psychologin der BEATS-Sprechstunde UPK1) zum komplexen Thema der Psychosen, ihrer Früherkennung und Frühintervention. Sie sensibilisierte uns für die vulnerable Phase der Adoleszenz, vermehrtes Risikoverhalten, Substanzkonsum und den Umgang mit betroffenen Jugendlichen. Nach der Mittagspause gab es eine Tandem-Fortbildung von Dr. med. Mélanie Hess (Leitende Ärztin, Endokrinologie UKBB) und Dr. med. Franca Pirovino (Oberärztin, DR. MED. AMY AMSTUTZ FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, DÜBENDORF Korrespondenzadresse: aamstutz@hin.ch Psychiatrische Klinik Basel) zu Gendervariationen und Genderdysphorie. Wir erhielten Einblicke in das komplexe Prozedere, das Jugendliche, ihre Familien und Spezialist:innen durchlaufen, bevor es zur Geschlechtsanpassung kommt. Interessant war die Erkenntnis, dass das Konzept von mehr als zwei Geschlechtern historisch gesehen nicht neu ist, sondern in manchen Kulturen seit Jahrhunderten existiert. Jill Zeugin (ehemalige Biologielaborantin, Sozialberaterin der Suchtprävention Basel, Drug Counsellor und CoLeiterin des Drogenchecking-Projekts SaferDance) führte uns in die Welt der Drogen ein. Neutral und tabufrei informierte sie über Substanzkonsum, Probierphasen sowie Möglichkeiten der Beratung und Schadensminderung. Den Freitagabend verbrachten einige von uns bei «Play 4 You» in Oberwil, wo wir Brett- und Geschicklichkeitsspiele aus aller Welt ausprobieren durften. Am Samstagmorgen gab uns Dr. med. Carina Butzmann (FMH Dermatologie und Venerologie) eine praxisrelevante Fortbildung zur Teenagerhaut und deren Behandlung. Raphael Huber (MAS in Nutrition & Health, MSc in Bewegungs- und Sportwissenschaften) stand uns Rede und Antwort zu Sporternährung, Muskelaufbau, Supplementen und pflanzenbasierter Ernährung bei Sportler:innen. Die vorletzte Präsentation des Tages hielt PD Dr. Noortje Vriends (Psychologin, Lehrbeauftragte Motivational Interviewing Uni Basel). Dr. Vriends animierte zu Diskussionen und Selbstreflexion im Umgang mit Teenagern und bewegte uns dazu, unser Verhalten zu überdenken. Den Abschluss machte Dr. med. Andreas Bieri (Leitender Arzt Pädiatrische Endokrinologie – Diabetologie) mit praxisrelevanten Themen wie sexuelle Reifung, Pathologien in der Pubertät und Fallbeispielen. Insgesamt war es eine gelungene und praxisnahe Fortbildung, möglicherweise eine der besten, die ich in den letzten Monaten besucht habe. Herzlichen Dank an die Organisatorinnen Dr. med. Patricia Haller Hoch und Dr. med. Helena Gerritsma Schirlo für diese stimmigen zwei Tage. ■ 1 Basel Early Treatment Service (BEATS) ist eine in der Basler Innenstadt angesiedelte Walk-In Sprechstunde der psychiatrischen Universitätskliniken (UPK) für Jugendliche und junge Erwachsene mit psychischen Problemen. Ähnliche Projekte gibt es auch in anderen Städten. Fotos: Helena Gerritsma Schirlo Foto: Patricia Haller Hoch
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