KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2024

03 / 2024 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 33 ■ Jugendliche ohne grössere Handicaps können ja besser selbst bestimmen, wo es im Leben durchgeht. Das konntest du ja nicht so machen. Hattest du Wünsche oder Vorstellungen, was du in deinem Erwachsenenleben gerne möchtest? Eigentlich nicht. Ich nehme es so, wie es gerade kommt. Ich habe ja auch in meiner Schule immer mal zwei Tage wohnen können und habe schon gemerkt, was es heisst, alleine zu wohnen. ■ Schreckt dich das ab, wenn du merkst, du wirst selbstständiger, oder freust du dich drauf? Ich freu mich drauf. Man ist trotzdem ja selbstständig, man muss einfach herausfinden, wie man mit dem Stoma umgehen muss. Ich war ja auch schon im Kantonsspital, wo es viele Stoma-Patienten gibt, die alle selbstständig sind. Es ist ja eigentlich nur ein Beutel, den man bei sich hat. ■ In welche Schule gehst du? In die CP Schule, St. Gallen, letzte Oberstufenklasse. Im Sommer bin ich endlich mit der 9. Klasse fertig, nach 12 Jahren. Meine Schulkollegen sind da nicht so glücklich. ■ Warum? Sie wollen mich nicht aus der Schule haben. Weil ich ein bisschen das Maskottchen von der Schule bin. Wenn ich nicht in der Schule bin, dann ist es ruhig. ■ Und was machst du nach der Schule? Hast du einen Plan? Ich möchte eine Ausbildung als Industriemechaniker machen. Das wäre mein Wunsch. ■ Hattest du das Gefühl, dass du in die Entscheidungen bei der Transition einbezogen wirst? Ja. ■ Du hattest durch deine Erkrankungen sicher oft Situationen, in denen du nicht wählen konntest, was als Nächstes passiert. Ja, es kommt halt auch auf das Thema an. Ich hatte ja viele Komplikationen, wo meine Eltern manchmal nicht wollten, dass ich operiert werde. Und ich habe ihnen dann erklären müssen, dass die Operation einfach nötig ist, weil ihr mich sonst einfach nicht mehr habt. ■ Da kann man ja dann nicht viel wählen. Aber für deinen Alltag – kann man da sagen, dass du den auch mitbestimmen kannst? Ja, schon. ■ Wechselt jetzt eigentlich dein ganzes Betreuungsteam? Ich wurde ja auch schon am Kantonsspital operiert, die kenne ich zum Teil schon. Am wichtigsten ist jetzt die PNBegleitung und die Stoma-Versorgung. ■ Wer war denn die grösste Hilfe für dich im Alltag? Meine Geschwister. Ich habe fünf Geschwister, ich bin der Jüngste. Die haben mich in der Spitalzeit extrem begleitet. Ich hatte ja auch einige psychische Probleme. Ich musste ja auch Schlafmittel nehmen. ■ Hast du auch eine Psychologin? Ja, an der Schule ■ Und die Betreuung wechselt dann auch, wenn du nicht mehr in die Schule gehst? Ja, ich habe dann eine, die zwar auch an der Schule ist, aber auch in eigener Praxis Therapien anbietet. ■ Konntest du die selber auswählen? Die hat mein Team ausgewählt. Man hat gesagt, die kennt man ja schon und die kann mich ja dann ambulant begleiten. Eigentlich hat sie sich auch wie selbst vorgeschlagen. ■ War das in Ordnung? Ja. ■ Hätte man irgendwas besser machen können bei dem Übergang ins Erwachsenenleben? Nein, ich habe ja ein so gutes Team hinter meinem Rücken. Die wissen alle, was sie machen müssen, die kennen mich ja alle seit Jahren. ■ Wenn man dir so zuhört, hat man das Gefühl, dass du recht sicher bist, dass es immer eine gute Lösung gibt. Wir haben ja lange gesucht, und jetzt weiss ich, dass man immer was findet. Das hier ist das Motto, was mir meine Psychologin mitgegeben hat. Alle, die bei ihr in der Therapie sind, sind mega glücklich. (Hält eine Karte in die Kamera, auf der «positiv verändere» steht. Seine Jugend-Psychologin Frau Nadja Tanner bietet auch Hilfe zur beruflichen und sozialen Integration an.) (Es kommt dann spontan noch ein Assistenzarzt der Chirurgie herein, der wissen will, wie es Bilal in Zürich gefallen hat. Man merkt, dass das ganze Team sich sehr bemüht, für ihn eine gute Anschlusslösung zu finden, die «für ihn förderlich ist, die ihm neue Anregungen gibt».) ■ Gab es von der rechtlichen Seite her Dinge, die du mitbestimmen musstest? Nicht dass ich wüsste. Ich hatte schon erwartet, dass es da mal einen Übergang geben würde. (Es gibt eine Beiständin, die gerade gewechselt hat und die auch bestehen bleiben wird.) ■ Du dürftest jetzt als Volljähriger selbst für dich entscheiden. Gab es da schon Situationen, in denen du was selbst entscheiden konntest? Da kann ich mich jetzt nicht erinnern. Ich habe schon ein Konto, ich habe das aber noch nicht richtig benutzt. Ich vertraue den Leuten um mich, dass sie es richtig machen. ■ Lieber Bilal, ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche dir alles Gute auf deinem weiteren Lebensweg! Schlussbemerkung: Gerade zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe erreichte uns folgende Nachricht: «Wir hatten heute ein Skype-Meeting mit der Mathilde Escher Stiftung in Zürich und haben Bescheid bekommen, dass Bilal auf das neue Schuljahr aufgenommen wird. Das ganze Betreuungsteam freut sich so sehr mit Bilal, dass sein grosser Wunsch in Erfüllung geht.» ■

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