KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2024

03 / 2024 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 25 Ausgangslage Während viele mehrfachbehinderte Patient:innen noch vor wenigen Jahrzehnten bereits im Kindes- und Jugendalter verstarben, ist die Lebenserwartung bei vielen von diesen Betroffenen bis ins mittlere Erwachsenenalter gestiegen. Dies kommt dank medizinischer Fortschritte sowie interdisziplinärer und interprofessioneller Betreuung mit Fokus auf Lebensqualität zustande. Damit steigen auch die Komplexität und die Dauer der medizinisch-therapeutischen Versorgung. «Der Erfolg der Transition hängt stark vom Engagement des Betreuungsteams ab» Modell St. Gallen, MSEB Sprechstunde am Kantonsspital St. Gallen Transition von der Kinder- und Jugendmedizin zur Erwachsenenmedizin von chronisch kranken Patient:innen mit Mehrfachbehinderung dessen im Kreis von viel älteren und gebrechlicheren Patient:innen wiederzufinden (Lugasi, et al)1. Es wurde weiter beobachtet, dass die Kommunikation und Koordination zwischen Kinder- und Erwachsenenärzt:innen sowie zwischen verschiedenen Fachbereichen der Erwachsenenmedizin oft eingeschränkt ist (Colver, et al., 2018)2. Jugendliche mit komplexen Betreuungsbedürfnissen und ihre Familien sind besonders anfällig für Abbrüche oder Versorgungslücken (Cassidy et al., 2022)3. Positive Beziehungen und das Stärken von Vertrauen werden generell als wichtige Voraussetzung für Übergänge im Rahmen der Transition ins Erwachsenenalter angesehen (Butterworth et al., 20164; Zhou, et al., 20165). Aus diesem Grund sind Transitionssprechstunden zwischen Kinder- und Erwachsenenärzt:innen von Bedeutung, bei denen den neuen Erwachsenenärzt:innen die Bedürfnisse und Präferenzen der Patient:innen erläutert und positive zwischenmenschliche Beziehungen aufgebaut werden können (Talking Mats, 2015)6. Für den Transitionsprozess wird deshalb vorgeschlagen, eine:n für die Transition verantwortliche:n Caremanager:in und eine Ärzt:in zu bestimmen. Damit soll sichergestellt werden, dass junge Menschen während ihres gesamten medizinischen Übergangsprozesses eine:n definierte:n Ansprechpartner:in und Kontinuität haben (NDTI, 20117, Zhou, et al.5, 2016; Colver, et al., 20182). Besonders Jugendliche mit komplexen Betreuungsbedürfnissen, für die ein sorgfältig zugeschnittener Übergabeablauf besonders wichtig ist, profitieren von einem gut geleiteten Transitionsprozess (O’Connell und Petty, 2018)8. Die Aufgabe der/des Caremanager:in dient in erster Linie der Koordination der Übergaben zwischen den Kinder- und Erwachsenenspezialist:innen. Dies wird unter anderem im Rahmen der Organisation einer ersten und einer zweiten Transitionssprechstunde umgesetzt. Weiter ist sie eine beständige Anlaufstelle bei Fragen, für Ratschläge und Informationen (Colver, et al., 20182; Colver, et al., 20209). Die Koordination kann durch Instrumente wie Betreuungspläne unterstützt werden, die sich als wirksam erwiesen haben, um eine qualitativ hochwertige klinische Versorgung und einen effizienten Datenaustausch zu fördern, die von allen Beteiligten geschätzt werden (Colver, et al., 2019)9. Um eine erfolgreiche Transition und eine optimale Weiterbetreuung dieses vulnerablen Patientenkollektivs zu Bei der Transition von Patient:innen mit Mehrfachbehinderungen, wenn deren Autonomie aus körperlichen oder geistigen Gründen stark eingeschränkt ist, werden diese Patient:innen aus dem «vertrauten Nest der pädiatrischen Versorgung geworfen». Sie, wie auch ihre Angehörigen, fühlen sich in diesem Übergang häufig verloren, was ein junger Mehrfachbehinderter in einem Artikel mit «lost in adult medicine» bezeichnete. Der Übertritt in die Volljährigkeit wird durch das Erlöschen der medizinisch therapeutischen Leistungspflicht der Invalidenversicherung mit dem 20. Lebensjahr zusätzlich belastet, wodurch therapeutische Leistungen durch die neu zuständige Krankenkasse gekürzt und therapeutische Hilfsmittel privat oder über Stiftungen finanziert werden müssen. Literatur In der Literatur zur Transition von mehrfach beeinträchtigten Menschen stösst man auf die Orientierungslosigkeit, mit der viele junge Menschen und ihre Familien konfrontiert sind, wenn sie versuchen, sich in der Erwachsenenmedizin zurechtzufinden. Es kann für junge Menschen ausserdem belastend sein, nicht mehr mit den Gleichaltrigen zusammen zu sein und sich stattFoto: Fabienne Pugliese, Ostschweizer Kinderspital DR. MED. CAROLA EHL FACHÄRZTIN FÜR ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN FMH, OBERÄRZTIN MBF, KLINIK FÜR ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN/ HAUSARZTMEDIZIN UND NOTFALLMEDIZIN, MULTIDISZIPLINÄRE SPRECHSTUNDE FÜR ERWACHSENE MIT BEHINDERUNG (MSEB), KANTONSSPITAL ST. GALLEN Korrespondenzadresse: carola.ehl@kssg.ch DR. MED. CHRISTOPH KÜNZLE FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, SCHWERPUNKT ENTWICKLUNGSPÄDIATRIE UND NEUROPÄDIATRIE, LEITENDER ARZT, LEITER REHABILITATION, OSTSCHWEIZER KINDERSPITAL, ST. GALLEN Korrespondenzadresse: christoph.kuenzle@kispisg.ch PD DR. MED. DR. SC. MED. JÜRG STREULI FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, LEITENDER ARZT UND CO-LEITUNG DES PACT AM OSTSCHWEIZER KINDERSPITAL UND LEITER DER STIFTUNG DIALOG ETHIK, ZÜRICH Korrespondenzadresse: juerg.streuli@hin.ch PETRA ZÜGERALLENSPACH ADVANCED CARE MANAGERIN, SCHWERPUNKT TRANSITION, NEUROPÄDIATRIE UND PÄDIATRISCHE PALLIATIV CARE (PACT), OSTSCHWEIZER KINDERSPITAL, ST. GALLEN, MULTIDISZIPLINÄRE SPRECHSTUNDE FÜR ERWACHSENE MIT BEHINDERUNG (MSEB), KANTONSSPITAL ST. GALLEN Korrespondenzadresse: petra.zueger-allenspach@kispisg.ch

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