03 / 2024 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 23 Beispielsweise unterscheidet sich eine junge Patientin mit einer fehlenden Gebärmutter von einer Patientin mit einer Doppelanlage der Gebärmutter und Nieren hinsichtlich Vorsorge, medizinischen Problemen als auch der reproduktiven Möglichkeiten. Bei fehlender Gebärmutter ist in der Schweiz die Uterustransplantation vom Gesetz her nicht zugelassen. Die Frau mit der Gebärmutterdoppelanlage hingegen kann schwanger werden, benötigt aber Informationen hinsichtlich spezifisch-möglicher Verhütung. Im Falle einer Schwangerschaft werden Frühgeburtlichkeit und Risiken unter der Geburt Themen, die bei rechtzeitiger Erkennung teilweise verhindert werden können. Wieder andere Jugendliche müssen sich mit einer frühen Hormonsubstitution auseinandersetzen, die für ihre Entwicklung von grosser Bedeutung ist und eine langjährige und vertrauensvolle Anbindung an Hormonspezialist:innen bedeutet. Andererseits ist gerade in der Generation Z und in sozialen Medien eine Hormonskepsis zu verzeichnen, was die Compliance verringern kann und die Betreuung umso anspruchsvoller macht. Vulnerabilität Die Pubertät und frühe Erwachsenenphase ist in vieler Hinsicht eine sensible Phase: Es verändert sich das Körperbild, was Fragen und Ängste auslösen kann. Dies ist insbesondere der Fall bei Jugendlichen, wo das Genitale oder die Harnwege nicht der Norm entsprechen. Das Anderssein wird zur Bürde mit Selbstzweifeln. Diese müssen begleitet und durch Fachpersonal abgefangen werden. Neben den medizinisch-psychologischen Anforderungen gibt es weitere Aspekte, denen in einem guten Medizinsystem begegnet werden muss: Malformationen können mit genetischen Veränderungen einhergehen. Diese können Konsequenzen für die Reproduktion und für die Weitergabe eines Risikos an die nächste Generation bedeuten. Basierend auf genetischen Informationen können Schlüsse auf eine mögliche spätere Krebserkrankung oder reduzierte Lebenserwartung folgen, was zusätzlich belastend für die jungen Menschen ist. Während in der Vergangenheit oft nur ein geringer Anteil Betroffener überhaupt über die Möglichkeit einer genetischen Beratung und Testung informiert wurde, ist das Wissen über erbliche Tumoren mittlerweile höher ins Bewusstsein getreten. Aus Untersuchungen von an Brustkrebs erkrankten Frauen weiss man, dass die Inanspruchnahme genetischer Untersuchungen in unterschiedlichen Populationen variiert, aber tendenziell über die Jahre steigt. Die reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten sind gross, die Genetik ist jedoch in den meisten Fällen noch rein auf der diagnostischen Stufe. Welche Lücke wollen das Kinderspital und das Universitätsspital Zürich schliessen? Das Kinderspital und Kliniken am USZ bieten seit einigen Jahren eine Transitionssprechstunde für Jugendliche mit urogenitalen Malformationen an. Nach einer oder zwei gemeinsamen Konsultationen am Kinderspital erfolgt der Übertritt in die Erwachsenenmedizin. Als Vorbild diente die kardiologische Transition bei Jugendlichen mit Herzfehlern, welche sich als sehr erfolgreich erwiesen hat. Es gibt ausreichend Evidenz für die Notwendigkeit transitionsspezifischer Versorgungsleistungen. Ein wie in Deutschland von den Krankenkassen finanziertes Transitionsprogramm (Berliner Transitionsprogramm für rheumatologische und muskuloskelettale Erkrankungen) gibt es in der Schweiz nicht. Die ressourcenintensiven Sprechstunden werden finanziell nicht abgedeckt. Wünschenswert wäre ein integrierter Versorgungspfad über zwei bis fünf Jahre zur Transition, der interprofessionelle und interdisziplinäre Fallbesprechungen und Betreuungsgespräche miteinschliesst. Spezielle Infoflyer für Jugendliche und ihre Eltern sind ebenso von Bedeutung und in gewissen Abteilungen erstellt. Diese Informationen auf einer öffentlichen Homepage zu koordinieren, wäre ein nächster sinnvoller Projektschritt. Das Team des Kinderspitals und Unispitals organisiert für Fachpersonen nationale und internationale Vorträge und Workshops, um die Behandelnden zu sensibilisieren und den Austausch zu fördern. Als Fernziel am Horizont ist eine krankheitsübergreifende, schweizweite Struktur für ein vernünftiges, interessenbündelndes Transitionskonzept mit der entsprechenden finanziellen Deckung durch die Grundversorgung anzustreben. Ein solches Konzept würde die medizinische Schnittstelle zwischen Kinder- und Erwachsenenmedizin relevant verbessern und einen grossen Vorteil für die Betroffenen und ihre Familien bedeuten. ■
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