KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2024

FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 02 / 2024 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 42 Als unser zweiter Sohn im Mai 2018 zu Hause zur Welt kommt, scheint alles in bester Ordnung zu sein. Ein lebensfrischer Junge bereichert unsere Familie. Die ersten Monate vergehen ohne Besonderheiten und Milan entwickelt sich bestens. Als er jedoch sechs Monate alt ist, unternehmen wir eine Reise. Da fällt mir zum ersten Mal ein grosses Hämatom am Rumpf auf, das sich beim Tasten recht hart anfühlt und deutlich hervorsteht. Glücklicherweise kann mich unsere Kinderärztin Dr. med. Irmela Heinrichs ein wenig beruhigen, da sie die Ursache als verletzungsbedingt einschätzt. Vermutlich hat er sich diese Verletzung beim Angurten im Flugzeug zugezogen. Ab diesem Zeitpunkt zeigen sich mit Milans zunehmender Mobilität zahlreiche solche Hämatome, vor allem an Armen und Beinen. Im Gespräch mit einer Freundin, die im Pflegebereich arbeitet, fällt zum ersten Mal der Verdacht, dass etwas mit der Blutgerinnung nicht in Ordnung sein könnte. Bei der 9-Monats-Kontrolle äussere ich diesen Verdacht und Frau Dr. Heinrichs macht umstandslos eine Überweisung ans Kinderspital. Zum Glück besteht bereits ein Vertrauensverhältnis zwischen uns und unserer Kinderärztin und wir sind nicht dem Verdacht ausgesetzt, unser Kind zu misshandeln, was aufgrund der vielen Hämatome durchaus naheliegen würde… Es vergehen weitere drei Monate bis zur ersten Schleimhautblutung aufgrund eines kleinen Unfalls (Milan rutscht auf der Treppe aus und beisst sich auf die Zunge). Über eine Woche stoppt die Blutung nicht richtig bzw. reisst die Verletzung immer wieder auf – es ist zum Verzweifeln. Auch das (korrekterweise) verordnete Cyklokapron bringt leider keinen Durchbruch. In meiner Ratlosigkeit wende ich mich ans Kinderspital Zürich und bekomme noch am selben Tag einen Termin bei Frau Prof. Dr. med. Albisetti. Schnell steht die Diagnose: LILITH BUSIN PATIENTENMUTTER, USTER Korrespondenzadresse: lilithbusin@hotmail.com Ein Sohn mit Hämophilie – Erfahrungsbericht einer Mutter Milan hat eine schwere Hämophilie B. Ihm fehlt also der für die Blutgerinnung notwendige Faktor IX fast komplett. Es ist eindrücklich zu erleben, wie die lästige Blutung nach der intravenösen Gabe des Faktorpräparats sofort stoppt. Obschon wir von Frau Prof. Dr. med. Albisetti bei diesem ersten Gespräch sehr einfühlsam und umfassend informiert werden, haut mich diese völlig unerwartete Diagnose zunächst einmal um. Obwohl die Krankheit in den meisten Fällen über die Mutter vererbt wird und somit in der Familie bereits bekannt ist, sind doch ein Drittel der diagnostizierten Fälle Neumutationen – wie bei uns. Es gehen mir viele Fragen und Ängste im Kopf herum: Was bedeutet diese Diagnose für unseren Alltag bzw. für Milans Zukunft? Wie steht es um die Teilnahme zum Beispiel an (sportlichen) Aktivitäten? Schaffen wir es, Milan trotz dieser Diagnose möglichst viele Erfahrungen machen und uns nicht von Ängsten vereinnahmen zu lassen? Solche und viele weitere Fragen treiben mich in den ersten Wochen nach der Diagnosestellung um. Vom Hämophilie-Team im Kinderspital Zürich werden wir in diesem Prozess sehr gut begleitet. Trotz eines gewissen Risikos dürfen wir mit dem Spritzen der wöchentlichen Faktor-Prophylaxe noch zuwarten und uns an die neue Wirklichkeit herantasten. Dafür bin ich sehr dankbar. Als Milan jedoch mit 15 Monaten nach einem kleinen Unfall auf dem Spielplatz die zweite Schleimhautblutung hat, entscheiden wir uns dafür, mit dem Spritzen zu beginnen. Milan bekommt seit diesem Zeitpunkt einmal wöchentlich den FaktorIX intravenös gespritzt. Gerade zu Beginn gestaltet sich das Spritzen schwierig, weil wir Milan noch nicht erklären können, was mit ihm geschieht und er deshalb zu Beginn viel schreit und sich wehrt. Andererseits sind die Gefässe noch sehr klein, sodass das Spritzen technisch herausfordernd ist für die Pflegeexpertin des Kinderspitals, Frau Elsbeth Müller. Da die Gefahr einer allergischen Schockreaktion am Anfang am grössten ist, finden die ersten Termine zum Spritzen im Kispi statt; später können wir zu Hausbesuchen wechseln. Das erleichtert mir den Alltag mit zwei Kleinkindern enorm. Für Milan wird das Spritzen mit der Zeit zu seinem Alltag und er macht glücklicherweise meist sehr gut mit. Dies hat auch damit zu tun, dass wir für ihn schöne Rituale einführen – zunächst lesen wir dem Bücherfan Geschichten vor und seit einiger Zeit darf er jeweils einen kurzen Film auswählen. Schrittweise werden wir dazu hingeführt, das Spritzen selber übernehmen zu können. Mit dieser Aufgabe, die mir das Leben gestellt hat, tue Milan mit 6 Monaten mit seinen ersten Hämatomen. Unser Bewegungsfreund Milan lässt sich nicht bremsen von der Hämophilie.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx