KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2024

FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 02 / 2024 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 40 ■ Ist es korrekt, bei niedrigem MCV und leichtgradiger Anämie erst das Eisen zu substituieren und bei ausbleibender Besserung der Werte eine Thalassämie abzuklären? Die Werte der Blutbildung sind, wie wir alle wissen, altersabhängig. Nehmen wir z. B. ein 6 bis 24 Monate altes Kind, da bewegen sich die Hämoglobinwerte von einem Mittelwert von 12.1 mit einem Wert im unteren Normbereich von 10.5 g/dl, d. h. eine leichtgradige Anämie wäre zu definieren im Bereich unter 10.5 g/dl bis ca. 9.5 g/dl für diese Alterskategorie. Für mich entscheidend in Bezug auf die Differenzialdiagnose Thalassämie ist das MCV. Wenn wir bei dieser Alterskategorie bleiben, dann ist der Mittelwert MCV bei 77.9 fl, der untere Normwert ist mit 70.0 fl festgelegt. Bei diesen Werten beziehe ich mich auf die Tabelle «Differenzialdiagnose der Anämien» von Jia Li et al., publiziert im Pädiatrie Up-to-Date 2022,17: 145-170. Diese Tabelle erachte ich als nützlich in Bezug auf die Normwerte in den verschiedensten Alterskategorien. In meiner Erfahrung ist das so, dass ein relevanter Wert, sprich Bedarf der weiteren Diagnostik in Bezug auf Thalassämie, für das MCV bei unter 60 fl zu definieren wäre. Im Bereich zwischen 60 und 70 fl für das MCV kann allenfalls einmal eine klinisch nicht relevante «minimale» Alpha-Thalassämie versteckt sein. Somit stecken wir bereits mitten in der Diffenzialdiagnostik der Anämien. Natürlich, wie uns allen bewusst ist, ist die Anamnese entscheidend in Bezug auf Ernährung, Ethnie, Blutungsneigungen sowie Ernährungsgewohnheiten der gesamten Familie. Um auf die gestellte Frage zurückzukommen, würde ich zuerst den Wert MCV anschauen und danach mir entsprechend Gedanken machen, welche weitere Diagnostik anzuwenden ist. Konkret bei einer Anämie, wenn wir bei unserem Altersbeispiel bleiben, mit einem Hb-Wert von unter 10.5 g/dl und einem MCV sagen wir mal von 65 fl, würde ich bei unauffälliger Familienanamnese über 3 Monate eine Eisensubstitution durchführen. Ist hingegen das MCV unter 60 fl, würde ich mit den Eltern eine Thalassämie-Abklärung besprechen, welche durchaus bei stabilen hämatologischen Werten auch später durchgeführt werden kann, und keine Eisentherapie durchführen. ■ Bei welchen Laborkonstellationen oder Familienstammbäumen sollten wir an Thalassämie denken? Selbstverständlich bei positiver Familienanamnese sollte an eine Thalassämie gedacht werden, in erster Linie sind das Familien resp. Familienteilen aus dem MittelmeerINTERVIEWER: DR. MED. MATTHIAS FERRETTI MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, WINTERTHUR Korrespondenzadresse: m.ferretti@hin.ch Fragen an unseren Co-Editoren Dr. med. Pierino Avoledo, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin FMH, Schwerpunkt Pädiatrische Onkologie-Hämatologie, Arztpraxis Rennweg, Basel Thalassämie im Kindes- und Jugendalter raum, aus dem Nahen Osten und aus Asien. Ebenso bei einem MCV unter 60 fl ist die Wahrscheinlichkeit, eine Beta- oder Alpha-Thalassämie zu finden, sehr hoch. ■ Reicht zur Diagnose einer Beta-Thalassämie die Elektrophorese oder muss es immer auch die Genetik sein? Im Praxisalltag sehen wir vor allem Beta-Thalassemia minor und die verschiedenen Varianten der Alpha-Thalassämie vor allem bei Patienten aus Südostasien. Für die Diagnose der Beta-Thalassemia minor reicht durchaus die Hb-Elektrophorese. Anders verhält sich dies bei den Alpha-Thalassämien, welche zur genauen Differenzierung meistens einer Genetik bedürfen. ■ Welche Hb-Werte sind bei einer Beta-Thalassämie das höchste der Gefühle und ab welchen Werten muss man reagieren? Wenn ja, wie? Mit Eisen peroral oder einer Infusion mit Eisen? Bei einer Beta-Thalassemia minor bewegen sich die Hämoglobinwerte im Schnitt zwischen 9 und 11 g/dl. Diese Werte werden von der Mehrheit der Betroffenen problemlos toleriert, und ein normaler Schulbesuch und eine normale resp. nicht eingeschränkte Berufswahl sind möglich ohne wesentliche Unterschiede zu gleichaltrigen nichtbetroffenen Kindern und Jugendlichen. Sollten die Hämoglobinwerte tiefer sein, muss eine konkomitierende Ursache gesucht werden, z. B. ein erhöhter Blutverlust, eine Zöliakie oder konkomitierende nutritive Ursachen. Das bedeutet, dass sicher ein Ferritin mit dazu bestimmt werden kann, natürlich kann auch mal eine subklinische Hypothyreose bei einer Jugendlichen mitursächlich sein für ein weiter erniedrigtes Hämoglobin und braucht die entsprechenden Abklärungen. Sollte ein deutlich erniedrigtes Ferritin gefunden werden, muss eine perorale Eisensubstitution gut überwacht und über einen kurzen Zeitraum verabreicht werden. Eine Eiseninfusion erachte ich als nicht sinnvoll. ■ Ein Kind der Familie hat eine diagnostizierte BetaThalassämie, muss ich dann die anderen Kinder abklären und wenn ja, wann? Reicht ein Blutbild oder gleich die Elektrophorese? Bei positiver Familienanamnese mit Beta-Thalassemia minor resp. falls bereits ein Kind der betroffenen Familie mit Beta-Thalassemia minor diagnostiziert wurde, erachte ich ein Blutbild als Screening durchaus als ge-

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