KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2024

FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 02 / 2024 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 38 Leukämiezellen (=«minimal residual disease» [MRD]) und Risiko für ein Rezidiv unerkannt, weswegen weitere Verfahren entwickelt wurden. Eine erheblich sensitivere Methode ist die Durchflusszytometrie, die eine zuverlässige Detektion von 1 auf 10000 Zellen ermöglicht. Noch sensitiver sind molekulargenetische Verfahren mittels Polymerasekettenreaktion (PCR), die die Sensitivität auf 1 auf 1000000 erhöhen. Das Erfassen von Patienten mit MRD mittels Durchflusszytometrie oder PCR hat in den aktuellen Therapieoptimierungsstudien wesentlich zur Therapiesteuerung und damit zur Verbesserung der Prognose beigetragen Die Therapie kindlicher Leukämien erfolgt in der Regel im Rahmen internationaler Therapieoptimierungsstudien oder gemäss Registerprotokollen nach Abschluss solcher Studien. Die langfristige Entwicklung wirksamer Behandlungsstrategien im Rahmen dieser Studien war entscheidend für die erzielten Therapiefortschritte in den letzten Jahrzehnten. Zentraler Bestandteil der Behandlung ist die intensive Chemotherapie, die darauf abzielt, die übermässige Produktion unreifer Blutzellen zu stoppen und die normale Blutbildung wiederherzustellen. Die Chemotherapie erfolgt gewöhnlich in vier aufeinanderfolgenden Phasen: Induktion, Konsolidierung, Reinduktion und Erhaltung. Dabei werden seit Jahrzehnten erfolgreich Medikamente aus den Gruppen Anthrazykline, Antimetabolite, Aminosäuredepletoren, Alkylantien, Vincaalkaloide sowie Glukokortikoide kombiniert. Die zu Beginn fünfwöchige Induktionstherapie zielt auf ein schnelles Zurückdrängen der Leukämie auf ein im Mikroskop nicht sichtbares Niveau. Die Konsolidierungs- und Reinduktionstherapie sollen die Remissionsqualität verbessern und nicht lichtmikroskopisch sichtbare Blasten eliminieren. Fester Bestandteil der ALL-Therapie ist auch die intrathekale ZNS-Therapie, da häufig ein ZNS-Befall vorliegt, selbst wenn keine Leukämiezellen nachweisbar sind. In seltenen Fällen muss zusätzlich eine Schädelbestrahlung durchgeführt werden, dies jedoch nicht bei Kindern im Alter unter 4 Jahren. Die Erhaltungstherapie, die bis zu einem Therapiegesamtzeitraum von 24 Monaten durchgeführt wird, dient der protrahierten Exposition und Zerstörung der noch verbleibenden Leukämiezellen. Die Dosis der oralen Zytostatika wird anhand des Blutbildes adaptiert, wobei eine leichte Leukozytensuppression angestrebt wird. Die akute myeloische Leukämie Die AML ist im Kindesalter sehr viel seltener als die ALL. Sie betrifft die myeloischen Vorläuferzellen. Klinisch kann sie sich ähnlich wie die ALL präsentieren. Sie wird vor allem anhand von molekulargenetischen Merkmalen eingeteilt, die zusammen mit dem Ansprechen auch hier für die Stratifizierung in Standard- und Hochrisikogruppen herangezogen werden4. Anders als bei der ALL besteht die Chemotherapie jedoch aus kurzen, intensiven Blöcken, denen in der Regel keine Erhaltungstherapie folgt. Stammzelltransplantation Die Stammzelltransplantation (SZT) stellt eine bedeutende Intensivierung der Therapie dar, die vor allem in Fällen von «Nicht-Ansprechen» auf konventionelle Therapieansätze, Rezidiven nach vorheriger Behandlung und HochrisikoLeukämien mit ungünstiger Prognose angewandt wird5. Hierbei wird durch die Konditionierung, die aus einer intensiven Chemotherapie mit oder ohne GanzkörperStrahlentherapie6 besteht, das kranke Knochenmark zerstört und durch Stammzellen eines Spendenden ersetzt. Ein wesentlicher Bestandteil des Therapieerfolgs ist dabei neben der kompletten Auslöschung des Empfänger-Knochenmarks auch der Effekt der transplantierten Lymphozyten, der sogenannte Spender-versus-Leukämie(Graftversus-Leukemia)-Effekt, der zu einer immun-vermittelten Zerstörung verbliebener Leukämiezellen führt. Die Spender-Lymphozyten können jedoch auch die unerwünschte Spender-versus-Empfänger(Graft-versus-Host)-Erkrankung auslösen, die zu schwerwiegenden Früh- und Spätkomplikationen führen kann. Nach einer Stammzelltransplantation ist die Nachsorge von entscheidender Bedeutung. Betroffene leiden häufiger an chronischen Erkrankungen, haben ein mindestens doppelt so hohes Risiko für (sekundäre) Malignome, und 75–90% von ihnen erwerben im Laufe ihres Lebens mindestens eine Langzeitfolge7,8. Diese sogenannten «late effects» sind komplex und erfordern eine enge Zusammenarbeit zwischen den niedergelassenen Pädiatern und dem Transplantationsteam (siehe Figur 1). Innovative Therapien: Immuntherapien haben sich als vielversprechende Ansätze in der Behandlung von Leukämien erwiesen, da sie das körpereigene Immunsystem nutzen, um Krebszellen gezielt zu zerstören. Besonders bedeutsam ist der bei der B-ALL verwendete monoklonale Antikörper Blinatumomab. Hierbei handelt es sich um einen bispezifischen Antikörper9, der sowohl an CD19 auf B-Zellen als auch an CD3 auf T-Zellen bindet. Letztere werden direkt an der Zielzelle aktiviert, um sie anschliessend zu zerstören. Neuesten Auswertungen der AIEOP BFM ALL 2017 Studie zufolge sind diese Antikörper nebenwirkungsärmer als die konventionellen, sehr intensiven Hochrisiko-ChemotherapieAnmerkung unseres Co-Editors Dr. med. Pierino Avoledo: Wenn die Klinik keine Hinweise auf ein hämatoonkologisches Krankheitsbild zeigt und das Praxis-Blutbild unauffällig ist, ist es legitim, den Eltern mitzuteilen, dass aufgrund der Klinik und des Blutbildes aktuell keine Hinweise da sind und somit eine weiterführende Diagnostik nicht indiziert ist. Es sollte jeweils das «aktuell» betont werden, denn übermorgen kann leider alles anders aussehen.

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