KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2024

FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 02 / 2024 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 34 4. Drittlinientherapien (Immunsuppressiva, «neue» Medikamente, wie zum Beispiel FcRn-Antagonisten, BTKInhibitoren, Komplement-Inhibitoren u.v.a.), Zytostatika, u.a. 5. Kombinationstherapien bei Patienten, die auf die genannten Medikamente schlecht oder gar nicht ansprechen. 6. Last but not least: die Splenektomie, die in der Pädiatrie schon seit Langem als ultima ratio betrachtet wird, nun aber auch bei Erwachsenen eine zunehmend schwächere Rolle spielt, da sie durch neuere Medikamente verdrängt wird. Sie ist jedoch nicht obsolet und immerhin mit einer hohen Erfolgsrate assoziiert (dauerhafte Verbesserung bei ca. zwei Dritteln der Patienten). Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass Langzeitverläufe wenig systematisch erforscht wurden. Die Splenektomie ist mit lebenslangem Risiko für Infektionskrankheiten, v. a. durch enkapsulierte Bakterien (Streptokokken, Meningokokken, Haemophilus influenzae) und mit lebenslangem Risiko für Thrombosen assoziiert. Kliniker erhalten bei der Wahl der Therapiestrategie durch verschiedene Leitlinien Unterstützung (Neunert C. et al. Blood 2019, Provan D. et al. Blood 2019, Matzdorff A. et al. Oncol Res Treat 2023). In der Pädiatrie ist u. a. empfohlen, dass bei Patienten, die wenig oder nicht bluten, Therapieentscheidungen unabhängig des Thrombozytenwerts getroffen werden. Diese Empfehlung durch Leitlinien ist wichtig, da ungefähr 80% der Kinder mit neu-diagnostizierter ITP einen tiefen Thrombozytenwert von <20×109/L haben und trotzdem keine schweren Blutungen aufweisen. Patienten mit Schleimhautblutungen wurde bisher empfohlen, auf Watch & Wait zu verzichten. Es wird aber intensiv diskutiert, ob die «Watch & Wait»-Strategie bei Patienten mit geringgradiger Schleimhautblutung wie zum Beispiel «wenige» enorale Petechien oder Nasenbluten mit weniger als 5 Min. Dauer, angewendet werden darf. Frage Antwort Kann eine Blutung, ihre Lokalisation und ihr Ausmass vorhergesehen werden? Nein, lebensbedrohliche Blutungen sind in der Regel mit einem Thrombozytenwert von <20×109/L assoziiert, allerdings zeigt eine Mehrzahl von Kindern bei Erstpräsentation ebenfalls Thrombozytenwerte in diesem Bereich. Basierend auf Daten von Registern und Studien wird das Vorkommen einer intrakraniellen Blutung bei weniger als 0,5% der Patienten gezeigt. Können die Krankheitsstadien der ITP bei der Erstpräsentation vorhergesehen werden? In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass ein Alter von unter 10 Jahren, ein abrupter Beginn der Blutungssymptomatik und ein tiefer Thrombozytenwert von <20×109/L mit einer selbstlimitierten ITP assoziiert sind; umgekehrt ist ein Alter über 10 Jahre, ein langsamer Beginn der Blutungssymptomatik und ein höherer Thrombozytenwert von >20×109/L mit einer persistierenden und chronischen ITP assoziiert. Wie viel Zeit braucht es, die Diagnose «primäre ITP» zu sichern? Die Diagnose «primäre ITP» ist stets mit Unsicherheit vergesellschaftet. Differentialdiagnostische Überlegungen sollten den Kliniker stets begleiten. Zwingend, wenn Abweichungen von der Definition «primäre ITP» gefunden werden, wenn die Therapieantwort auf die Erstlinientherapie ausbleibt und wenn die ITP persistiert oder chronisch wird. Zu welchem Zeitpunkt oder zu welchen Zeitpunkten sollen ausgedehnte differentialdiagnostische Untersuchungen inklusive genetischer Tests stattfinden? Bei abweichenden Befunden, die nicht mit primärer ITP definiert sind, bei Nicht-Ansprechen auf Erstlinientherapien und bei Verläufen, die nicht typisch für die pädiatrische ITP sind, sowie bei persistierender und vor allem chronischer ITP sind ZusatzUntersuchungen sinnvoll, dabei müssen die individuellen Informationen über die Krankheit berücksichtigt werden. Es gibt noch keinen allgemein akzeptierten diagnostischen Algorithmus. Mehrere Gruppen beteiligen sich zurzeit an einer Lösung dieses Problems. Tabelle 2: Auswahl von klinisch relevanten Fragen mit Versuch, diese zu beantworten Leider sind bei Patienten mit primärer ITP bei den in Tabelle 2 genannten klinischen Fragen keine sicheren Antworten möglich. Die Unkenntnis bzw. vagen Antworten sind für die Schwierigkeiten, die man bei der Betreuung von Kindern mit ITP antrifft, verantwortlich. Trotz aller Richtlinien und Konsensuskonferenzen bleibt bei der ITP stets eine Unsicherheit zurück, weshalb ein Management in Teamarbeit empfohlen wird: vom Patienten, seinem Hausarzt und einem Zentrum mit hämatologischer Spezialisierung. Schlussendlich erfordern die Diagnostik und die therapeutische Strategie, mit der Berücksichtigung der gängigen Standards basierend auf Richtlinien, viel Erfahrung. Die ITP bleibt somit oft eine Erkrankung mit individueller Einzigartigkeit, die individuelle Lösungen erfordert, welche sich an den spezifischen Bedürfnissen der Patienten und ihrer Angehörigen orientieren. Die Vielzahl der möglichen Therapieziele bei der ITP zeigen die Schwierigkeiten der Therapie auf: Behandlung oder Prophylaxe von Blutungen, Heilung der ITP, Verbesserung der Lebensqualität, ökonomisch sinnvolle Strategien, Therapie mit einer möglichst geringen Nebenwirkungsrate usw. Die Einteilung in initiale Therapie (Standardtherapie, Erstlinientherapie), in Zweit- und Drittlinientherapie widerspiegelt eine ungenügende Therapieantwort bei Versagen der vorhergehenden Therapielinie. Sie widerspiegelt jedoch weniger die Krankheitsstadien (neu diagnostizierte, persistierende und chronische ITP), denn Blutungen können jederzeit auftreten. Ausserdem können Medikamente bei Nicht-Ansprechen nach einer gewissen Zeit durchaus wieder ein Therapieansprechen zeigen. Im Weiteren können Patienten mit chronischer ITP durchaus eine gute Lebensqualität haben, mit seltenen oder sogar keinen relevanten Blutungsereignis-

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