KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2024

FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 02 / 2024 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 32 Begriff Definition Formen der ITP Basierend auf der Dauer der Thrombozytopenie: 1. Neu diagnostizierte ITP (0–3 Monate) 2. Persistierende ITP (3–12 Monate) 3. Chronische ITP (mehr als 12 Monate). Thrombozytopenie bei der ITP Thrombozytenwert von <100×109/L Klassifikation der ITP 1. Primäre ITP: der Grund für die ITP ist nicht bekannt 2. S ekundäre ITP: Der Grund für die ITP ist bekannt (zum Beispiel ITP assoziiert mit einer rheumatologischen Krankheit, mit einer lymphoproliferativen Krankheit oder mit einer Infektionskrankheit, wie zum Beispiel Hepatitis C oder HIV) 3. Medikamenten-assoziierte ITP. Evans-Syndrom: gleichzeitiges oder zeitlich getrenntes Auftreten einer Autoimmun-hämolytischen Anämie (AIHA) und einer ITP Schweregrad der ITP Die schwere ITP wird klinisch definiert: Blutungssymptome bei Erstpräsentation, die eine Behandlung notwendig machen, oder erneute Blutungssymptome im Verlauf, die eine erneute Therapie mit einem anderen ITP-spezifischen oder eine Dosiserhöhung des bisherigen Medikaments notwendig machen. Therapie-refraktäre ITP Wurde bisher bei Erwachsenen mit einem Rezidiv nach Splenektomie definiert, wird zurzeit intensiv diskutiert, da die Definition basierend auf einem Versagen auf Splenektomie nicht mehr zeitgemäss ist, da verschiedene Medikamente der zweiten und dritten Linie (s. Tabelle 3) zur Verfügung stehen. Für pädiatrische Patienten ist noch keine allgemein akzeptierte Definition bekannt. Einführung Die Immunthrombozytopenie (ITP), früher auch idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP) genannt, ist eine Autoimmunkrankheit, bei der Thrombozyten Ziele der Autoimmunität sind. Wenn Autoantikörper thrombozytäre Epitope besetzen, werden die Zellen durch Fcg-Rezeptoren des monozytären phagozytären Systems erkannt und abgebaut. Durch Antigen-Präsentation kommt es dann zur Aktivierung von T- und letztlich von B-Zellen, die wiederum Autoantikörper, zum Teil mit anderer Spezifität, produzieren (Circulus Vitiosus). Bei diesem Prozess können auch die Megakaryozyten angegriffen werden, da sie dieselben Epitope wie die Thrombozyten exprimieren, was schliesslich die Thrombozytenproduktion beeinträchtigen kann. Es gibt aber eine Vielfalt von weiteren immunologischen und nichtimmunologischen Mechanismen. Die ITP wurde bereits in der Renaissance beschrieben, blieb aber bis ins 20. Jahrhundert eine deskriptiv charakterisierte Krankheit. Erst mit dem Selbstversuch von William Harrington und seiner Entdeckung eines «Blutfaktors», der später als Immunglobulin bzw. als AutoAntikörper identifiziert wurde, wurde das «I» der ITP von einer idiopathischen zu einer immunologischen und schliesslich zu einer Autoimmun-Krankheit. Heute besitzt die ITP eine Rolle als Modell für Autoimmunkrankheiten, da das Ziel der Autoimmunität, die Thrombozyten und Megakaryozyten, gut zu studieren ist und die Beeinflussung durch Medikamente innert Stunden und Tagen erkannt werden kann. Die pädiatrische ITP ist mit einer Inzidenz von 1.9–6.4 pro 100 000 Kinder pro Jahr eine seltene Krankheit (Terrell D. et al. Am. J. Hematol. 2010). Wie so häufig in PROF. DR. MED. THOMAS KÜHNE FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, SCHWERPUNKT PÄDIATRISCHE ONKOLOGIEHÄMATOLOGIE, LEITENDER ARZT ONKOLOGIE/ HÄMATOLOGIE, UNIVERSITÄTSKINDERSPITAL BEIDER BASEL, BASEL Korrespondenzadresse: thomas.kuehne@ukbb.ch Die primäre Immunthrombozytopenie im Kindes- und Jugendalter der Pädiatrie legt die Seltenheit Steine in den Weg zur Erkenntnis. So müssen akademische Studien oft international durchgeführt werden und sind deswegen teuer. In den letzten 25 Jahren haben aber Register und Expertengruppen mit Studien, Übersichtsarbeiten und mehreren nationalen und internationalen Leitlinien zur Erkenntnis und zu Konsensfindungen beigetragen (Neunert C. et al. Blood 2019, Provan D. et al. Blood 2019, Matzdorff A. et al. 2023, Kühne T UNI-MED Verlag 2022). In den letzten drei Jahrzehnten haben wir einen starken Wissenszuwachs erlebt, der zur Entdeckung neuer Medikamente, aber auch zu Mut für neue Strategien führte. In dieser Übersicht werden die aktuelle Diagnostik und die Behandlung der ITP im Kindes- und Jugendalter beschrieben. Definitionen Da die ITP als Ausschlussdiagnose schlecht definiert ist und das Immunsystem ausserordentlich komplex und schwierig zu verstehen und zu messen ist, sind viele klinische Aspekte der Krankheit, wie zum Beispiel die Klassifikation, die klinischen Eigenschaften, die Behandlungsziele, der therapeutische Erfolg und die Prognose nicht präzise definiert. Aus diesem Grund hat sich eine internationale Arbeitsgruppe, auch bekannt als Vicenza-Konferenz, mit diesen Problemen beschäftigt und ein oft zitiertes Manuskript publiziert, in welchem die Harmonisierung der Sprache und die Definitionen der ITP beschrieben sind (Rodeghiero F et al. Blood 2009). In der Tabelle 1 ist eine Auswahl von Definitionen der ITP dargestellt. Zurzeit werden diese Definitionen überarbeitet. Tabelle 1: Auswahl von Definitionen der ITP, basierend auf der internationalen Arbeitsgruppe (Rodeghiero F et al. Blood 2009)

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