KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2024

01 / 2024 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 31 Der Verein zischtig.ch besteht seit 2008. In den ersten Jahren seiner Tätigkeit ging es vor allem um die Mediennutzung der Jugendlichen und besorgte Eltern. Aktuell geht es immer öfter um Eltern, die selbst zu viel am Bildschirm sind oder ihre Kinder zu lange vor dem Bildschirm «parkieren». Denn: Die jungen Eltern sind selbst mit digitalen Geräten gross geworden. Sie haben noch gelernt, dass die Digitalisierung ein grosser Segen sei und der Geräteumgang unbedingt früh gelernt werden müsse. Verbunden mit der eigenen Routine ist für viele ein sorgloser Umgang entstanden. Diesen übertragen sie nun auf die kleinen Kinder. «Was für mich gut ist, kann für das Kind nicht schlecht sein.» JOACHIM ZAHN, MSc SOCIAL WORK, MEDIENPÄDAGOGE, PRAXISAUSBILDNER, PROJEKTLEITUNG UND GESCHÄFTSLEITUNG BEI www.zischtig.ch, USTER Korrespondenzadresse: joachim.zahn@zischtig.ch Die Fachstelle zischtig.ch engagiert sich für Fragen rund um die Mediennutzung in Familien. Seit einigen Jahren geht es mehr und mehr um Kinder von 1 bis 6 Jahren. Zum einen werden Kinder immer öfter mit Medien «ruhiggestellt», zum anderen sind auch die Eltern immer öfter abgelenkt oder nicht präsent. Gefährdung kleiner Kinder durch Bildschirme Komplexe Ausgangslage Über die Beratungsarbeit und die Analyse der Familiensituationen wird klar, dass es keine einfachen Antworten gibt. Die Voraussetzungen der Familien sind äusserst vielseitig und vielschichtig. Natürlich könnte man denken, die Vermittlung von Wissen zu den Folgen einer übermässigen Mediennutzung würde reichen. Jedoch: Was ist mit Eltern, die ihre Gefühle selbst nur noch über die Smartphone-Nutzung regulieren können? Und wie ist vorzugehen, wenn Eltern davon ausgehen, dass Kinder mit Youtube früh und gut Englisch lernen? Weil es wichtig sei? Was ist mit Kindern, die eine extrem hohe Aktivzeit haben? Dürfen Eltern Bildschirme zur Entlastung einsetzen? Was, wenn Eltern beständig erreichbar sein müssen? Medien haben den gesamten Familienalltag durchdrungen. Die komplexe Anlage verlangt die Aktivität unterschiedlichster Akteure mit vielseitigen Methoden. Daher arbeitet zischtig.ch mit Logopäd:innen, Elternorganisationen oder Fachorganisationen wie a:primo zusammen. Über dieses Zusammenarbeiten können unterschiedlichste Zugänge und Methoden gepflegt werden. Wie helfen? Tipps zischtig.ch hat sich in den letzten Jahren auf eine verständliche Vermittlung von Wissen und Erziehungsratschlägen spezialisiert. So bietet der Verein jährlich rund 200 Elternbildungsveranstaltungen an. Die zu vermittelnden Informationen werden spezifisch illustriert. Bei Bedarf werden auch Videos oder Zoomveranstaltungen durchgeführt. Über die Zusammenarbeit mit Organisationen werden Hilfsmittel für Pädagog:innen erarbeitet. Und schliesslich führt zischtig.ch in Praxis und Ausbildung den Diskurs um einfache Hilfen voran. Bearbeitet werden beispielsweise Fragen zu «Maximalzeiten». Eine aktuelle Empfehlung aus diesen Beratungen lautet: Nicht vor dem Frühstück! Nicht während dem Essen! Nicht vor dem Einschlafen! Nicht unbeaufsichtigt! ■ Folgen für die Kinder Daneben ist zu beobachten, dass auch viele Eltern sehr viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen. Sie selbst nutzen die Geräte neben der Arbeit zu Hause auch für Entspannung und Ablenkung. In der Folge sind sie nicht mehr präsent. Selbst im vermeintlichen Spiel mit dem Nachwuchs bleiben sie alert. «Hat das Smartphone geleuchtet?! Muss ich etwas?!» Kinder erfahren mehrfach gestresste Eltern und durchleben so selbst Phasen extremer Verunsicherung. So ist die adäquate Versorgung in immer mehr Familien gefährdet oder bereits gestört. In der Folge werden immer mehr Probleme mit der Mediennutzung an zischtig.ch herangetragen. Neben Anrufen besorgter Eltern sind es vor allem Mitarbeiter:innen von Kindertagesstätten und Kindergärten. Sie beobachten, wie Kinder aufgrund von Vernachlässigungen Schwierigkeiten im Beziehungsaufbau entwickelten. Viele der Kleinsten lernen auch das freie Spiel mit Materialien oder anderen Kindern nicht mehr. Es gibt Kinder, die ohne Youtube nicht mehr essen oder einschlafen können. In Spiel oder Gespräch wird die Überforderung mit gesehenen Inhalten sichtbar. Illustration: Joachim Zahn

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