KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2024

FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 01 / 2024 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 28 deutlich ab und lassen sich folgendermassen zusammenfassen: «Bildschirmmediennutzung möglichst wenig, bezogen auf das Alter möglichst spät, möglichst unter elterlicher Anleitung und mit festen Nutzungsregeln» (vgl. Kasten 5). Eine frühzeitige elterliche Begrenzung und Begleitung der Mediennutzung ist besser als jede Therapie. Nachträglich eingeführte Nutzungsbeschränkungen und Regeln lassen sich dagegen nur schwer durchsetzen (siehe Kasten 5). Auch eine frühe schulische Priorisierung digitaler Medien gegenüber analogem Schreiben- und Lesenlernen birgt gewisse Risiken, da gerade schwächere Schüler:innen mit dem Tablet offenbar weniger gut lernen als mit Büchern oder Texten auf Papier (Salmeron et al., 2021). Während der Pandemie hat sich ausserdem gezeigt, dass Fernunterricht weit weniger effektiv ist als Präsenzunterricht. Interessanterweise beobachtet man in Ländern mit weit fortgeschrittener Digitalisierung eine teilweise Rückkehr zum analogen Lernen (Schweden) oder eine rigorose staatliche Regulierung von Medienzeiten für Minderjährige (maximal 3 Stunden Gaming pro Woche in China). In Anbetracht der erheblichen Gesundheitsrisiken für Kinder und Jugendliche dürfen die vielen Vorteile der fortschreitenden Digitalisierung nicht überschätzt werden. ■ DAS LITERATURVERZEICHNIS FINDEN SIE IN DER E-PAPER-AUSGABE. Kasten 4: Mögliche Einstiegsfragen für Kinder und Jugendliche bezüglich Internet- bzw. Computerspielsucht Einstiegsfragen ■ Was machst Du vor allem, wenn Du in deiner Freizeit im Internet bist (z.B. Gamen? In sozialen Medien unterwegs sein? Streamen?). Warum ist Computerspielen (im Internet sein/in sozialen Medien sein) für Dich wichtig? ■ Wie viele Stunden bist Du an Wochentagen/am Wochenende am Computerspielen (bzw. in Deiner Freizeit online)? ■ Hast Du oft Ärger oder Streit zu Hause, weil Du so viel Computer spielst (weil Du ständig im Internet/online bist)? ■ Spielst Du heimlich länger Computerspiele, als Du zugibst (bzw. hast Du Deine Eltern auch schon belogen wegen deiner Onlinezeit?) ■ Um wie viel Uhr schläfst Du? Nutzt Du das Handy noch kurz vor dem Einschlafen? ■ Hast Du das Gefühl, dass Computerspielen (bzw. im Internet surfen / in sozialen Netzen aktiv sein) für Dich immer wichtiger wird und Dir andere Hobbys deshalb weniger Spass machen als früher? ■ Hast Du mehr Kolleg:innen online oder mehr im «analogen», «richtigen» Leben? Hat sich das verändert in letzter Zeit? Unternimmst Du heute weniger mit Deinen Kolleg:innen, weil Du lieber online bist (am Gamen bist)? ■ Wie fühlst Du Dich, wenn Du längere Zeit nicht Computer spielen kannst (bzw. nicht online sein kannst)? Bist Du gereizt (unruhig oder traurig)? ■ Hast Du schon vergeblich versucht, weniger Computer zu spielen (bzw. weniger im Internet online zu sein)? ■ Musst Du ständig ans Computerspielen denken (bzw. an irgendwelche Internetaktivitäten), auch wenn Du gerade nicht spielst (oder im Internet online bist)? ■ Hast Du das Gefühl, nicht mehr kontrollieren zu können, wie lange Du spielst (bzw. Du im Internet bist)? ■ Hast Du Probleme in der Schule, weil Du so viel Computer spielst (weil du ständig im Internet online bist)? Kasten 5: Empfehlungen zur altersgerechten freizeitlichen Nutzung von Bildschirmmedien und generelle Empfehlungen Altersbereich Empfohlene Mediennutzung Bis 3 Jahre Keine Bildschirmmediennutzung 3 bis 6 Jahre Bildschirmmediennutzung höchstens an einzelnen Tagen, maximal 30 Minuten unter Aufsicht der Eltern, ausgewählte Inhalte 6 bis 9 Jahre Bildschirmmediennutzung maximal 45 Minuten an einzelnen Tagen, ausgewählte Inhalte, möglichst im Beisein der Eltern. Kein freier Internetzugang; keine eigene Spielekonsole 9 bis 12 Jahre Maximal 45-60 Minuten Bildschirmzeit täglich; möglichst nur ausgewählte Inhalte; Medienkonsum/-inhalte sollte/n jeweils mit den Eltern besprochen werden. Internetzugang nur unter Aufsicht. Wenn ein eigenes Smartphone, dann nur mit Zugangsbeschränkung. 12 bis 16 Jahre Mediennutzung maximal 1 bis 2 Stunden am Tag und nur bis 21 Uhr. Internetzugang nur beschränkt. Eltern sollten den Medienkonsum, Inhalte und Risiken mit den Jugendlichen besprechen. Bei übermässiger Nutzung sollten Eltern mittels Selbsttest die Suchtgefahr überprüfen und gegebenenfalls Hilfe in Anspruch nehmen. 16 bis 18 Jahre Selbstständiger Internetzugang möglich. Für besondere Situationen sollten Regeln (zum Beispiel am Abend vor einer Prüfung) festgelegt werden (Richtwert zum Beispiel 2 Stunden). Viele Jugendliche benötigen auch in diesem Alter noch eine Begleitung der Mediennutzung durch die Eltern. Bei entsprechenden Risiken (Selbsttests) sollte Hilfe gesucht werden. Einige generelle Empfehlungen für Eltern und Schule ■ Bildschirmmedien nicht als Belohnung, Bestrafung, Beruhigung einsetzen ■ Feste Regeln zur Internetnutzung verbindlich aufstellen (eventuell schriftlich) und durchsetzen ■ Vor der Anschaffung des ersten Smartphones schriftlich Nutzungsvereinbarungen fixieren; technische Möglichkeiten der Nutzungseinschränkungen kennen und einstellen ■ Informiert sein und Interesse zeigen, was das Kind im Internet macht ■ Alternative Aktivitäten, einschliesslich Bewegung, planen und fördern ■ Keine Bildschirmmedien im Schlafzimmer, keine Nutzung direkt vor dem Schlafengehen ■ Eltern (und ältere Geschwister) sollen sich ihrer Funktion als Rollenmodell bewusst sein ■ Eltern und/oder Schule: Mechanismen und Techniken des Internets sollen kritisch aufgezeigt werden («filter bubbles» [Internetnutzer:innen erhalten durch personalisierte Algorithmen nur noch Informationen, die ihren bereits bestehenden Ansichten/Vorlieben entsprechen], fake news) ■ Schule: Präsenzunterricht ist dem Online-Unterricht auf Primarstufe vorzuziehen; auf Sekundarstufe maximal 2 Stunden pro Tag Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin et al. (2023) AWMF Leitlinie zur Prävention dysregulierter Bildschirmnutzung (Auswahl, gekürzt) diese blieben allerdings bei manchen Nutzer:innen erhöht (Werling et al 2021). Aktuelle Empfehlungen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Pädiatrie oder Entwicklungspsychologie weichen von den tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten

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