KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2024

01 / 2024 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 23 ■ Die Tonbandaufnahme läuft jetzt. Das Interview ist anonym, wir sagen keine Namen. Ich stelle dir ein paar Fragen. Ja. ■ Was ist der Hauptgrund, warum du mit Cannabis oder im Allgemeinen mit Drogen angefangen hast? Ich würde sagen, es ist … ich war neugierig, wie die Wirkung ist. Ich habe in Filmen gesehen, dass es extrem lustig sei und so. Es nahm mich wunder, es war nicht mal der Gruppendruck oder so, wie die ganze Zeit gesagt wird. Es war einfach die Neugier, die ich hatte. ■ Also was ausprobieren? Sonst noch was? Also logisch, man hat sich cool gefühlt. «Ich bin 14, ich kann Drogen nehmen», keine Ahnung … das war in meinem Kopf etwas extrem Cooles. ■ Also nicht mehr Kindsein? Etwas machen, was die Erwachsenen machen? Etwas Verbotenes machen! ■ Und wann und wie hast du gemerkt, dass es vom Konsum zur Sucht wurde? Wann hast du gemerkt, dass du die Kontrolle ein Stück weit verloren hast? (überlegt) Ich glaube, wirklich realisiert habe ich es erst, als ich meine Anzeige [wegen Dealens] hatte. Der Grund war, damit ich mir das Gras leisten konnte. Weil ich zu wenig Cash von meinen Eltern bekommen hatte, um meinen täglichen Konsum [zu finanzieren] … auch in der Schule, wir sind in der Pause aufs WC gegangen und haben einen durchgeraucht. ■ Während der Schulzeit? Ja. Als ich mir im Nachhinein überlegte, wie oft ich konsumiere, wurde es mir langsam klar. ■ Also war der Konsum fast jeden Tag? Ja, es war jeden Tag. Nicht jeden Tag während des Tages, aber spätestens am Abend sicher. ■ Weisst du ungefähr noch, was das für Mengen waren? Wie viel Gramm zum Beispiel? Oh, ich habe Wax Pen geraucht … weisst du, was ein Wax Pen ist? ■ Sag mal, erklär mal! Das ist extrem hochkonzentriertes THC, das kommt aus Kalifornien. Das wird illegal rübergeschifft, mit Zertifizierung und allem. Das ist 96%-iges THC. Das ist in einer Dose und angeschlossen an eine Art Stift, mit dem man es rauchen kann, also dampfen. Mit drei Zügen war man komplett paniert. So eine kleine Dose – mein Dealer sagt mir, es sollte für 3 Monate reichen – hatte ich innerhalb von 3 bis 4 Wochen durch. Ich hatte schon einen gröberen Konsum. ■ Also hochkonzentriert, viel THC drin. … mit sehr wenig CBD. DR. MED. FLORIAN GANZER FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDPSYCHIATRIE UND -PSYCHOTHERAPIE, BACHELOR PSYCHOLOGIE, WINTERTHUR Korrespondenzadresse: florian.ganzer@ protonmail.com Interview zu Cannabiskonsum mit einem 17-jährigen Jugendlichen ■ Und du hast gesagt, du hast mit 14 angefangen? Ich glaube mit 14 oder 15, nein, 14 macht mehr Sinn, denn mit 15 hatte ich meine Anzeige. ■ Eine andere Frage: Wie können Kinderärzt:innen oder Hausärzt:innen erkennen, dass ein Jugendlicher, eine Jugendliche ein Problem mit Cannabis hat oder mit Drogen? Oh, das ist eine schwierige Frage (lacht)! Das Problem ist, dass es halt auch einfach in die Pubertät passt. An der Antriebslosigkeit würde ich sagen. Am ehesten – aber dann ist es halt schon extrem spät – wenn die Stimmung sich verändert. Man kennt das: Leute, die drauf sind, die reden anders. «Highgelabber» halt. Man merkt, wenn jemand sehr stark Cannabis konsumiert über lange Zeit. Ansonsten finde ich es schwierig. Vielleicht auch durch unlogische Sachen wie zum Beispiel einen Gutenachthandschlag anstatt «Gute Nacht» zu sagen. Ich finde es schwierig, auch zu sagen, wie man es als Eltern merken könnte. Vielleicht auch so verhängt? ■ Also nicht so da, abwesend sein … wahrscheinlich, wenn man den ganzen Tag unterwegs ist oder auch den ganzen Tag im Bett? Ja, das definitiv. Wenn jemand viel zu Hause ist und dann plötzlich sehr viel draussen. Es muss nicht unbedingt Gras sein, es kann auch einfach Rauchen sein oder Alkohol, aber das war bei mir so. Ich habe angefangen zu rauchen und war plötzlich oft draussen. ■ Und wesensverändert, dass man anders ist? Ja, voll. ■ Und spätestens, wenn dann so Anzeigen kommen … Ja, spätestens … ■ … aber dann ist es schon zu spät. ■ Was hätte geholfen, damit du nicht angefangen hättest? (überlegt) Wahrscheinlich nichts. Aber vielleicht Aufklärung im Schulunterricht. Eigentlich wusste ich schon Bescheid, aber wirklich Bescheid dann doch nicht, weisst du, was ich meine? Ich habe mich so ein bisschen informiert und hatte ein gefährliches Halbwissen. Zum Beispiel, dass die Stängel vom Gras impotent machen (lacht), so auf dieser Basis. ■ Wahrscheinlich haben aber alle mal irgendwann gesagt, Drogen seien gefährlich? Schon, aber der Hintergrund, weshalb es wirklich gefährlich ist, das kann man nicht in «Erwachsen» sagen, sondern auch … keine Ahnung, … einfach spannend rüberbringen. Wenn ein Erwachsener dasteht und sagt: «Blablabla», dann hört man gar nicht zu. Vielleicht müsste man auch einen Tag eine Person in die Schule kommen lassen, die erzählt, durch was sie gegangen ist, und zack,

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx