KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2022

04 / 2022 JAHRESTAGUNG K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 35 Die osteopathische Medizin ist eines von mehreren «ganzheitlichen» Verfahren für unsere Praxen. Sie wurde vor gut 140 Jahren vom amerikanischen Arzt Dr. Andrew Taylor Still begründet und entwickelt sich seitdem ständig weiter. Bei der Untersuchung von Kindern, die an Ruhr erkrankt waren, fiel Taylor Still vor allem die ungleiche Verteilung von Kälte und Hitze, Spannung und Entspannung auf. Er begann an der Schädelbasis, dann an der Wirbelsäule mit leichtem Drücken und Schieben zu arbeiten und brachte so die Kälte zu den heissen Körperregionen sowie rigide und gelöste Bereiche im Bereich der Muskulatur der Wirbelsäule ins Gleichgewicht. Diese Kinder zeigten erstaunlich schnell eine Besserung der Symptome. Einleitend gab uns Patrick Zürcher einen Einblick in die Methode. Mit folgenden Prinzipien der Osteopathie wird gearbeitet: 1. Der Körper ist eine Einheit: Der Mensch ist eine Einheit aus Körper, Geist und Seele. Wie ein Mensch sich fühlt oder ob er auf Dauer gesund bleibt, wird von einer Vielzahl körperlicher und seelischer Prozesse bestimmt. 2. Der Körper hat die Fähigkeit der Selbstregulation, Selbstheilung und Selbsterhaltung (es gilt, die inneren Selbstheilungskräfte anzuregen). Krankheiten können entstehen, wenn die Abwehr und die Selbstheilungskräfte eines Menschen durch viele kleine Belastungen entstehen. Aber auch Krankheitssymptome sind in der Regel Ausdruck der Selbstheilungskräfte des Organismus. 3. Funktion formt die Struktur und wechselseitig beeinflusst die Struktur die Funktion. Strukturen sind Knochen, Muskeln, Organe, Nerven, Gewebe und Faszien sowie die Körperflüssigkeiten (Blut, Lymphe, Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit). Funktionen sind physiologische Prozesse wie zum Beispiel die Durchblutung, die Verdauung oder die Monatsblutung der Frau. Aber auch die körperlichen Fähigkeiten und die seelische Stärke eines Menschen gehören zu den Funktionen. Durch eine lang anhaltende Überlastung oder Unterforderung eines Körperteils, also eine willkürliche Veränderung seiner Funktion, kann sich auch seine Struktur verändern. Umgekehrt kann eine Beeinträchtigung der Körperstrukturen – etwa durch einen Unfall, Muskelverspannungen oder eine Infektionskrankheit – zur Folge haben, dass sich die Funktionen verschlechtern. 4. Eine osteopathische Behandlung soll den Organismus unterstützen, sich selbst zu helfen und folgt den ersten drei Prinzipien. REFERIERENDE: DR. MED. CATHERINE SZENTE Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Praxispädiaterin in Basel DR. MED. PATRICK ZÜRCHER Facharzt Allgemeine Innere Medizin FMH, Sportmedizin SGSM, Manuelle Medizin/ Ärztliche Osteopathische Medizin SAMM/SAGOM/ EROP, SKEMA Arztpraxis, Uster DR. MED. SUSANNE SCHWARZ Fachärztin für Anästhesiologie, Oberärztin mbF, Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Rettungs- und Schmerzmedizin, St. Gallen MODERATION: REGULA BENZ Pflegefachfrau, kinderarztpraxis am kronenplatz, Binningen AUTOR: DR. MED. CYRIL LÜDIN Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin FMH, Praxispädiater in Muttenz Korrespondenzadresse: cyril@luedin.eu Team-Workshop für Ärztinnen /Ärzte und MPAs 2: Osteopathie Ärztliche Osteopathie. Die Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern mit Instruktionen für die kinderärztliche Praxis Osteopathen brauchen umfassende medizinische Kenntnisse, vor allem in der Anatomie und Physiologie. Sie brauchen sensible Hände, die mit dem Körper eines Menschen «sprechen» können. Mit der Unterstützung von Patrick Zürcher und unsere Kinderarzt-Kollegin Catherine Szente sowie der Anästhesistin Susanne Schwarz begannen wir mit praktischer Erforschung von feinsten Strukturen. Auf das Palpieren, das Abtasten und Fühlen wurde grosser Wert gelegt. Kleinste Verhärtungen des Gewebes am Hals versuchten wir aufzufinden. Die Behandlung selbst besteht in minimalen Impulsen. Ziel ist das Lösen von Stauungen (Kompressionen) in den Blut-, Lymph- und Nervenbahnen. So regen wir den Organismus an, die Störung selbst zu beheben. Faszienvergleich Quelle: www.escueladerolfing.es Einleuchtend war das Bild eines Netzhemds, bei dem man sieht, wie sich auf kleinen Druck oder Zug an einer Stelle die gesamte Struktur des Geflechts verändert. Man sucht als Osteopath die verspannte Stelle und hält sie, ohne Druck und mit Gefühl und gutem Fokus. So kann eine Eigenkorrektur stattfinden. Wichtig ist eigene Zen- triertheit und die Offenheit des Therapeuten. Das Ziel des Workshops, sich an der Salutogenese des Körpers zu orientieren und so eine Erweiterung des Blicks auf unsere ärztliche Rolle zu ermöglichen, ist meines Erachtens gut gelungen. ■

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx