33 03 / 2022 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Max erhält zuerst die Anleitungen für ein Blasentraining am Tag. Er soll die tägliche Trinkmenge steigern, ohne häufiger pinkeln zu gehen. Für die meisten Kinder ist das Steigern der täglichen Trinkmenge eine Herausforderung. Einfacher geht es, wenn am Morgen eine Flasche mit der gewünschten Trinkmenge gefüllt wird (zum Beispiel 1,2 Liter) und das Kind beim Trinken immer aus dieser Flasche das Wasser nimmt. Das letzte Glas sollte beim Abendessen eingeschenkt werden. Ein anderer lustiger Trick ist, dass das Kind jedes Mal, wenn es ein Glas Wasser getrunken hat, einen Kleber auf ein Blatt kleben oder eine Murmel in ein Gefäss legen kann. Am Abend sollten dann sieben Kleber beziehungsweise sieben Murmeln zu zählen sein. Obwohl die Trinkmenge gesteigert wird, soll die Miktionsfrequenz beibehalten werden. Nur so kann die Blasenkapazität gesteigert werden. Die Kinder lernen, den Harndrang mit Ablenken, Durchatmen, Beckenboden aktivieren oder auch Beine zusammenkneifen aufzuschieben. Diese Manöver müssen von der Therapeutin korrekt instruiert und jeweils sorgfältig beobachtet werden. Ein zu langes Aufschieben wäre durchaus unerwünscht, da sich eine Tonuserhöhung der Beckenbodenmuskulatur negativ auf den Blasendetrusor auswirken kann. Sollte tatsächlich eine ausgeprägte Urge-Symptomatik (die einhergeht mit starkem Harndrang, häufigem Wasserlassen und Nykturie bei kleinen Urinmengen) vorliegen, wäre eine medikamentöse Unterstützung sinnvoll. Die Kinder lernen zudemmit Atemübungen und «Blasenmassage», den Unterbauch und die Beckenregion zu entspannen, was sich «urge-hemmend» auswirken kann. Max lernt, seine Blase korrekt zu entleeren, was besonders am Abend wichtig ist. Für ein korrektes Entleeren muss Max so sitzen, dass die Füsse flach auf dem Boden stehen, die Wirbelsäule aufrecht ist und Bauch- und Beckenbodenmuskulatur komplett relaxiert werden können. Gleichzeitig mit dem Blasentraining starten wir das Wecktraining. Max ist äusserst motiviert und kann bereits nach 3 Wochen mit dem Weckapparat starten. Der Weckapparat soll nur bei Kindern ab ca. 7 Jahren angewendet werden. Die Kinder müssen die Handhabung alleine durchführen. Sie übernehmen einen grossen Teil der Therapie, was anspruchsvoll ist. Die Eltern werden zu «stillen Beobachtern». Meistens erreichen die Kinder unter der Therapie mit dem Weckapparat nach etwa drei Monaten ein vollständiges Trockensein in der Nacht. Sind die Kinder zwei Wochen lang jede Nacht ohne Weckapparat trocken, ist das Ziel erreicht und der Weckapparat wird zurückgeschickt. Jetzt darf belohnt und gefeiert werden! Eine Belohnung oder ein Abschlussritual ist für die Kinder wichtig. Das Thema «Bettnässen» soll für immer abgeschlossen sein. Für mich als Therapeutin ist der schönste Moment, wenn ein Kind kommt und sagt: «Heute bin ich zum letzten Mal hier!». Interessanterweise berichten die Eltern oft, dass Kinder, welche in der Nacht trocken geworden sind, auch auf anderen Ebenen Fortschritte gemacht haben. Bei Max wird es Spätsommer, bis er den Weckapparat zurücksenden kann. Seine Belohnung erfolgt in der jetzt möglichen Teilnahme am Herbstlager der Pfadi! Zu Recht ist Max auf seinen Erfolg stolz. Auf der Homepage von pelvisuisse finden sie unter «Therapeutinnenliste» Namen und Adressen von Therapeutinnen, welche sich im Bereich der Kinder Becken Physiotherapie spezialisiert haben und Kinder wie Max behandeln. Die Autorin darf für individuelle Anliegen oder Vorträge zum Thema «Was bietet die Kinder Becken Physiotherapie bei Miktions- und/oder Defäkationsstörungen» gerne kontaktiert werden. ■ LITERATURANGABEN, QUELLENVERZEICHNIS 1 Neveus T et al. Evaluation of and Treatment for Monosymptomatic Enuresis: A Standardization Document From the International Children’s Continence Society. 2014 2 Neveus T et al. Management and treatment of nocturnal enuresis: an updated standardization document from the International Children’s Continence Society. 2020 3 Franco I et al. Evaluation and treatment of nonmonosymptomatic nocturnal enuresis: a standardization document from the International Children’s Continence Society. 2012 Abbildungen aus Pixibuch «Pipi einfach – echt Kacke» von Rita Schlup. Illustration Christoph Biedermann, Solothurn 2019. Illustration 3: Die Kinder lernen zu schlafen wie ein Hase und nicht wie ein Igel
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx