25 03 / 2022 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Im Winter 2020, kurz bevor die Welt stillstehen sollte, klagt der damals 7-jährige Knabe Tim über Rücken- und Gelenkschmerzen. Da er Mühe mit Laufen hat, stellen ihn die Eltern an einem Wochenende auf der Notfallstation einer Kinderklinik vor. Sie sind vorsichtig, denn ihr Sohn hatte bereits mit gut 3 Jahren eine Immunthrombozytopenie (ITP) erlitten und vor einem halben Jahr ein Rezidiv. Im Spital vermutet man als Ursache der Schmerzen eine Überlastung durch die Skiferien kurz zuvor, die Thrombozyten sind normal. Zwei Tage später stellt sich Tim in meiner Praxis vor, weil er wieder einen Ausschlag hat. Die Eltern vermuten ein erneutes Rezidiv der ITP. Das klinische Bild mit Purpura an den Unterschenkeln und Gelenkschmerzen (er geht wie auf Eiern) lässt aber an eine Purpura Schönlein-Henoch denken. Die Thrombozyten sind demnach auch normal, ebenso der Urinbefund. Nochmals 3 Tage später zeigt sich ein ausgeprägter Hautbefund der unteren Extremitäten, Schwellungen der Hände und ein deutliches Penis- und Scrotalödem mit livider Verfärbung, der Urin ist aber immer noch unauffällig. Nochmals 3 Tage später ist der Allgemeinzustand besser, die Purpura und die Ödeme sind regredient. Nun hat er erstmals 1+ Eiweiss und 2+ Ec im Urin, 3 Tage später bereits 3+ Eiweiss und 4+ Ec. Ich überweise Tim an die Kinderklinik. Was nun folgt, lässt sich fast nicht aufzählen. Während die Schweiz im Lockdown liegt, fängt für Tim und seine Familie der lange Weg erst an. Die Überweisung an die Unikinderklinik zur Biopsie bestätigt eine PSH-Nephritis. Das nephrotische Syndrom ist steroidresistent, er leidet unter zunehmenden Ödemen und das Kreatinin steigt. 6 Wochen nach Krankheitsbeginn wird der Zustand als akute Niereninsuffizienz Stadium 3 nach KDIGO klassifiziert. Tim bleibt in den nächsten Monaten von unzähligen Komplikationen inklusive Pneumokokkensepsis und Sinusvenenthrombose nicht verschont. Durch die Corona-Pandemie und verschärfte Regeln im Spital ambulant und stationär ist alles kompliziert, unzählige Coronatests kommen dazu. Es folgen insgesamt 12 Hospitalisationen bis heute. Nach einer schweren hypertensiven Krise 4 Monate nach Krankheitsbeginn mit Hirnödem, Eintrübung und weiter steigenden Kreatininwerten wird eine Peritonealdialyse begonnen. Die Eltern managen auch diese Herausforderung bewundernswert praktisch selbstständig zu Hause und machen den Weg ins Zentrumsspital mehrmals pro Woche. Tim, den ich zwar in der Praxis nur selten sehe, mal für eine Hb- oder Kreatinin-Zwischenkontrolle, hat immer ein Lächeln im Gesicht und kooperiert mit unendlicher Geduld. Trotz maximaler medikamentöser Therapie wird klar, dass es in Richtung terminaler Niereninsuffizienz geht und nur die Transplantation bleibt. Vor zwei Monaten hat Tim eine Niere der Mutter bekommen. Zum Glück bleibt der Verlauf hier bis anhin komplikationslos. Beiden geht es gut und er geht seit Kurzem wieder zur Schule. Ich wünsche ihm und seiner Familie, dass es auch weiterhin so bleibt. ■ DR. MED. STEFANIE GISSLER WYSS FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, MITGLIED DER REDAKTIONSKOMMISSION, NEUENDORF Korrespondenzadresse: s.gissler@hin.ch Fallbeispiel aus der Praxis: Eine Purpura Schönlein-Henoch mit Komplikationen Foto: Matthias Furter Restliche Fotos: Stefanie Gissler Wyss
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