KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2022

19 03 / 2022 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Intermittierende Harninkontinenz Die intermittierende Harninkontinenz beschreibt den unwillkürlichen Urinverlust tagsüber. Dazwischen gibt es unterschiedlich lange trockene Phasen. Nächtliches Einnässen wird als Enuresis bezeichnet (s. unten). Häufig liegt eine Kombination von beidem vor. Die Ursachen der intermittierenden Harninkontinenz sind in den allermeisten Fällen funktionell und nur sehr selten psychisch bedingt. Eine der häufigsten Ursachen ist eine Reifungsverzögerung der Blasenkontrolle mit Hyperaktivität der Blasenmuskulatur. Monosymptomatische Enuresis nocturna (MEN) Von der monosymptomatischen Enuresis nocturna spricht man, wenn ein isoliertes Einnässen in der Nacht vorliegt. Dabei kommt es zur kompletten Blasenentleerung im Schlaf. Bei diesen Kindern besteht keinerlei Tagessymptomatik. Blasenentleerung, Miktionsfrequenz sowie Blasenkapazität sind normal. Non-monosymptomatische Enuresis nocturna (NMEN) Hier besteht neben dem nächtlichen Einnässen zusätzlich eine Tagessymptomatik im Sinne einer Harninkontinenz tagsüber, häufig mit folgenden Symptomen: Pollakisurie (hohe Miktionsfrequenz), Urge-Symptomatik, Haltemanöver, Harnwegsinfekte. Die NMEN ist nicht immer gut vom isolierten Bettnässen abgrenzbar, da die Tagessymptomatik schwach oder verdeckt sein kann. Fallbeispiel 2: 8-jähriger Knabe mit persistierender Enuresis nocturna. Tagsüber ist der Knabe trocken. Die Trinkmenge sei normal. Ein Versuch mit Minirin hat bislang keinen Erfolg gebracht. Keine Infekte, keine Obstipation. Abklärungen: Miktions-/Trinkprotokoll: Miktionsfrequenz 10–12x/Tag, Trinkmenge durchschnittlich 700ml/Tag. Restliche Abklärungen (Ultraschall, Uroflow, U-Stix) unauffällig. Diagnose: Nicht-monosymptomatische Enuresis nocturna (mit hypokapazitäter Blase). Therapie: Urotherapie, Steigerung der Trinkmenge, ggf. Anticholinergica. Hyperaktive Blase/Blasenmuskulatur («overactive bladder») Die Ursache der hyperaktiven Blase liegt in einer Überreagibilität des Detrusormuskels. Dabei reagiert der Detrusor rasch und heftig auf die Dehnung der Blasenwand bei einer gewissen Blasenfüllung und kontrahiert oft schon, wenn der Harndrang wahrgenommen wird. Typischerweise besteht bei diesen Kindern eine ausgeprägte Urge-Symptomatik, die Miktionsfrequenz ist hoch. Nicht immer, aber sehr häufig leidet der Patient an einer Harninkontinenz tagsüber und oft auch einer Enuresis nocturna. Fallbeispiel 3: 7-jähriger Knabe mit Zuweisung vom Kinderarzt zur weiteren Abklärung, da er immer noch nicht trocken ist. Tagsüber immer wieder nasse Hosen, vor allem gegen Abend, nachts ist er permanent mit einer Windel versorgt. Die Miktionsfrequenz liegt bei ca. 9×/Tag, die geschätzte Trinkmenge beträgt knapp 1l, es besteht eine ausgeprägte Urge-Symptomatik, die Miktion selbst ist unangestrengt, der Harnstrahl kräftig. Keine Obstipation, kein Stuhlschmieren. Die körperliche Untersuchung ist unauffällig. Abklärungen: Miktions- und Trinkprotokoll: Miktionsfrequenz 10×/Tag, Miktionsmenge durchschnittlich 100ml, Trinkmenge 800ml. Weitere Abklärungen (Urinstix, Ultraschall, Uroflow) unauffällig, kein Restharn. Diagnose: Non-monosymptomatische Enuresis nocturna mit hyperaktiver Blasenmuskulatur. Therapie: Allgemeine Urotherapie, Hochsetzen der Trinkmenge sowie eine anticholinerge Therapie mit Oxybutynin. Darunter deutliche Besserung. Er ist tagsüber komplett beschwerdefrei. Für die Nacht hat er nun einen Weckapparat und ist bereits in 50% der Nächte trocken. Hypoaktive Blase Die hypoaktive Blase war früher unter dem Begriff «lazy bladder» bekannt. Durch langjährigen Miktionsaufschub kommt es zu einer Überdehnung und dadurch zur Minderaktivität des Detrusormuskels. Diese Kinder haben eine sehr niedrige Miktionsfrequenz mit übergrosser Blasenkapazität. Die Miktion erfolgt vorwiegend über die Bauchpresse, grosse Restharnmengen sind typisch (was wiederum einen häufigen Toilettengang auslösen kann). Häufig finden sich eine Stakkato-Miktion sowie eine Überlaufinkontinenz. Dysfunctional Voiding/Blasendysfunktion Die Blasendysfunktion ist ein schwerwiegendes Krankheitsbild und beruht in der Regel auf zwei Komponenten: einer Problematik der Blasenfüllung durch einen unwillkürlich kontrahierenden, hyperaktiven Detrusor sowie einer Entleerungsstörung durch einen hyperkompensatorischen Harnblasensphinkter. Diese Dyskoordination führt langfristig zu einem erhöhten Blasendruck und unbehandelt dadurch zur Schädigung der Nieren. Symptome sind ein abgeschwächter Harnstrahl, eine Stakkato-Miktion, notwendiges Pressen bei Miktion (Entleerung mit Bauchpresse), Restharnbildung, rezidivierende Harnwegsinfekte.

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