KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2022

18 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L 03 / 2022 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Einleitung Blasenfunktionsstörungen im Kindesalter, mit oder ohne Harninkontinenz, sind häufig und betreffen ca. 10% der 7-jährigen Kinder. Die Blasenfunktion beruht auf einem komplexen Zusammenspiel von Nervenfasern, Muskulatur und der Steuerung durch das Gehirn. Dabei durchläuft die Entwicklung der Blasenkontrolle verschiedene Stadien: Bei der unreifen, infantilen Blase löst die Blasenwanddehnung bereits bei kleinen Urinvolumina durch einen spinalen Reflex eine Kontraktion des Detrusors aus. Die reife Blase nimmt in der Füllungsphase die Afferenzen der Blase wahr (Wanddehnung), sie unterdrückt den spinalen Reflex und hemmt die Detrusoraktivität. Sie stimuliert den Blasensphinkter und koordiniert während der Miktion Detrusor und Sphinkter, sodass eine vollständige Miktion möglich ist. Dazwischen gibt es ein Übergangsstadium, welches unterschiedlich lange dauern kann. In der Regel liegt dieses zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr, kann aber auch länger anhalten. Während des Prozesses der Blasenreifung sind die Kinder besonders anfällig für die Entwicklung einer Blasenfunktionsstörung. Die Symptome einer solchen sind vielfältig und können isoliert oder in Kombination miteinander auftreten. Abhängig von Ausmass und Erscheinungsbild sowie vom Leidensdruck der betroffenen Familien sind individuelle Therapieansätze nötig. Schon vor Jahren hat die International Children’s Continence Society (ICCS) eine Standardisierung der Terminologie für die Funktion des unteren Harntraktes herausgegeben und regelmässig aktualisiert. Diese Standardisierung ist wichtig, um das Verständnis für das vorliegende Beschwerdebild zu objektivieren sowie eine einheitliche Kommunikation zwischen den Behandelnden zu gewährleisten. Zusätzlich hilft sie der adäquaten Behandlung von Blasen- und Darmentleerungsstörungen im Kindesalter. Der folgende Artikel soll eine Übersicht über die aktuell geltende Terminologie sowie deren Bedeutung geben. Harninkontinenz Der Begriff der Harninkontinenz beschreibt einen unwillkürlichen Urinverlust. Dieser kann intermittierend oder kontinuierlich vorhanden sein. Zusätzlich wird zwischen einer primären (das Kind war noch nie länger als 6 Monate am Stück trocken/ beschwerdefrei) und einer sekundären (das Kind war schon einmal mindestens 6 Monate trocken) unterschieden. Kontinuierliche Harninkontinenz Die kontinuierliche Harninkontinenz äussert sich durch einen konstanten Urinverlust (meist tröpfchenweise tags und nachts) und ist üblicherweise assoziiert mit einer anatomischen bzw. kongenitalen Malformation (ektoper Ureter, Ekstrophie, ausgeprägte Sphinkterinsuffizienz, iatrogene Ursache wie zum Beispiel eine Fistel). Die kontinuierliche Harninkontinenz ist nicht immer gut von der intermittierenden Inkontinenz abgrenzbar, da die verlorenen Urinmengen sehr gering sein können, sodass ein Fleck in der Unterhose schnell trocknet. Fallbeispiel 1: 14-jähriges Mädchen wird in die Sprechstunde zur Abklärung einer Harninkontinenz zugewiesen. Die Anamnese ergibt, dass seit dem 10. Lebensjahr eine Inkontinenz Tag und Nacht besteht. Zuvor war die Patientin trocken, auf genaues Nachfragen kann es sein, dass ab und zu ein kleiner Fleck in der Unterhose gewesen sei. Keine Infekte. Keine Obstipation. Sehr hoher Leidensdruck. Abklärungen: Miktions-/Trinkprotokoll: Miktionsfrequenz 2–3/Tag, Miktionsvolumina bis 450ml, Trinkmenge 1–2l/Tag. Ultraschall Urogenital: Doppelniere rechts, sonst unauffällig. MRI Abdomen: Doppelniere beidseitig mit ektopem Oberpolureter links, in die Vagina mündend MAG3-Szintigrafie: Seitengleiche Partialfunktion rechts/links, Ober-/Unterpol rechts 32%/68%, linker Oberpol nicht abgrenzbar, das heisst funktionslos. Diagnose: Doppelniere beidseitig mit ektop mündendem Oberpolureter links und dazugehörigem funktionslosem Oberpol. Therapie: Lap. Heminephrektomie links, seither beschwerdefrei. DR. MED. MARTINA FRECH-DÖRFLER FACHÄRZTIN FÜR KINDERCHIRURGIE, LEITENDE ÄRZTIN KINDERCHIRURGIE/ KINDERUROLOGIE, UNIVERSITÄTSKINDERSPITAL BEIDER BASEL UKBB, BASEL Korrespondenzadresse: martina.frech@ukbb.ch Definition der verschiedenen Begriffe zu Inkontinenz und Blasenentleerungsstörung im Kindesalter

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