KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2022

30 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L 02 / 2022 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Einleitung Die Tularämie ist eine selten auftretende Zoonose, die durch das gramnegative kokkoide Stäbchenbakterium Francisella tularensis verursacht wird. Es lebt strikt aerob und fakultativ intrazellulär. Es wird vorwiegend in kleineren wildlebenden Tierarten wie Hasen und anderen Nagetieren nachgewiesen, weshalb der Erkrankung auch der Name Hasenpest gegeben wurde. Das Bakterium ist kälteresistent und kann auch in feuchten Böden und Gewässern wochenlang überleben. Eine Übertragung als Aerosol kann gleichzeitig viele Menschen mit einer schweren Pneumonie und hoher Sterblichkeit infizieren. Aufgrund der hohen Umweltstabilität, der hohen Infektiosität und der Virulenz ist Francisella tularensis als bioterroristischer Kampfstoff eingestuft. Bei einer kulturellen Laboranalyse ist das Labor über den Verdacht zu informieren, da eine Sicherheitswerkbank notwendig ist. Die Klinik kann sich sehr unterschiedlich äussern und gibt der Form seinen Namen. Die weitaus häufigste Form ist die ulzeroglanduläre Tularämie, die mit einem Ulkus, einer Lymphadenitis und häufig systemischen Allgemeinsymptomen wie Fieber und Abgeschlagenheit auftritt. Fall 1 Bei einem 10-jährigen Knaben entwickelt sich nach einem Zeckenstich am rechten Skrotum nach einigen Tagen an der Einstichstelle eine Rötung mit beginnender Ulzeration und eine Lymphadenitis in der Leiste rechts. Zusätzlich grippale Symptomatik mit Fieber bis 40°C. Bei initialem Verdacht auf bakteriellen Sekundärinfekt antibiotische Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure ohne klinische Besserung. Im Weiteren aufgrund der Klinik und des Verlaufes Verdacht auf eine Tularämie mit Durchführung einer Serologie, die sich positiv zeigt. Nach Start einer antibiotischen Therapie mit einem Aminoglykosid (Gentamycin) rasche klinische Verbesserung, anschliessend Umstellung auf Ciprofloxacin, insgesamt 3-wöchige antibiotische Therapie. Diagnose einer ulzeroglandulären Tularämie. Fall 2 Ein 10 Monate altes Mädchen wird mit 5 Tagen persistierendem Fieber ohne Infektfokus auf der Notfallstation vorgestellt. Bei präseptischem Zustandsbild Abnahme von Blutkulturen und Beginn einer antibiotischen Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure. In den Blutkulturen kein bakterielles Wachstum nachweisbar. Im weiteren Verlauf aufgrund von nun 10 Tagen Fieber ohne Infektfokus Arbeitshypothese eines atypischen Kawasaki-Syndroms und Beginn mit intravenösen Immunglobulinen und ASS. Bei fehlendem Ansprechen Rücksprache mit der pädiatrischen Infektiologie. Die zu diesem Zeitpunkt durchgeführte Francisellen-Serologie war negativ. Nach antibiotischem Fenster Wiederholung der Blutkulturen und Start einer antibiotischen Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure und Tobramycin. Daraufhin rasche Entfieberung. In der kombinierten kardiologisch-infektiologischen Verlaufskontrolle nach einem Monat Wiederholung der Francisellen-Serologie, die nun eine Serokonversion zeigt. Damit Diagnose einer typhoidalen Tularämie. Das Mädchen ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Epidemiologie Sporadische Fälle treten immer wieder auf, in den letzten 10 Jahren ist es aber in der Schweiz zu einem starken Anstieg der Zahlen insbesondere auch bei Kindern und Jugendlichen gekommen. Aufgrund von Seroprävalenzstudien wird angenommen, dass die tatsächliche Fallzahl deutlich unterschätzt wird. Die Tularämie ist auf der ganzen nördlichen Hemisphäre verbreitet. Es werden sehr unterschiedliche Transmissionswege beschrieben, wobei die Vektorübertragung in Mitteleuropa der häufigste Weg darstellt und hauptsächlich durch Zecken, aber auch andere Insekten erfolgt. Der Infektionsweg ist wegweisend für die Klinik. Häufig hängt der Transmissionsweg mit den Aktivitäten des Patienten zusammen. FRAU DR. MED. FRANZISKA ZUCOL FRÖHLICH FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH UND INFEKTIOLOGIE FMH, LEITENDE ÄRZTIN PÄDIATRISCHE INFEKTIOLOGIE, KANTONSSPITAL WINTERTHUR Korrespondenzadresse: franziska.zucol@ksw.ch Wir brauchen nicht in ferne Länder zu reisen, um an etwas «Exotischem» zu erkranken. Die Tularämie oder Hasenpest ist eine seltene Zoonose, die aber in den letzten Jahren stark zugenommen hat und daher ins Bewusstsein des Praxispädiaters und in die Differentialdiagnose bei fieberhaften Infekten mit Lymphadenitis und Hautveränderungen gehört. Tularämie bei Kindern und Jugendlichen BAG Meldedaten 2012–2021 Hasenpest Zeichnung: Kerstin Walter

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