9 01 / 2022 BERUFSPOL I T I K K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Ich muss schon sagen, dass ich total überrascht war, als ich letzten Juli den Umschlag der Juventus Schule öffnete, in der Erwartung, meiner MPA i.A. (der Einfachheit nun «Lernende» genannt) zur bestandenen Prüfung gratulieren zu können. «Praktische Prüfung nicht bestanden!» stand dort recht lapidar, und ich verstand die Welt nicht mehr. Natürlich war dies ein Desaster – nicht nur für meine Lernende, sondern auch für mich. Was haben wir falsch gemacht, dass sie es nicht geschafft hatte – und vor allem, wieso haben wir es nicht bemerkt? Das ganze MPA-Team, meine Praxiskolleginnen, auch die Lernende selbst, haben nicht im Entferntesten daran gedacht, dass sie diese Abschlussprüfung nicht schaffen würde. Sie hatte gute Vornoten, war fleissig, in der Praxis arbeitete sie selbstständig und betreute Patientinnen, gab kompetent am Telefon Auskunft und war eine vorausdenkende Mitarbeiterin! Nach dem ersten Schock (und einigen Tränen…) ging ich dann mit ihr zur Prüfungsbesprechung, um mir ein Bild von den Prüfungsresultaten zu machen. (Freudig) überrascht traf ich dort eine gute Pädiaterkollegin, welche ebenfalls mit ihrer MPA zur Besprechung kam – auch sie war betroffen, dass ihre kompetente Auszubildende die Prüfung nicht geschafft hatte. Nach Durchsicht der Unterlagen und freundlicher Erklärung durch die Prüfungsleitung musste ich erkennen, dass unsere Lernende mit relevanten Themen zu wenig Erfahrung hatte: Beratung von Patientinnen mit Blutverdünnern, Röntgenbilder und deren Fertigung, Einsatz von erweitertem Labor. Wie konnte das passieren? Zwar werden alle diese Inhalte in der Schule theoretisch und praktisch behandelt, aber in unserer Praxis kann sie zu diesen Themen keine Erfahrungen sammeln. Wir haben kein Röntgen, das Labor ist beschränkt auf Blutbild und CRP – und ja – Blutverdünnung ist nun nicht unser täglich Brot. In der Vor-Corona-Zeit hatten wir einen regelmässigen Austausch mit der Allgemeinarztpraxis im Quartier, in welcher unsere Lernenden auch immer wieder praktisch arbeiten gingen. Wegen den coronabedingten Einschränkungen kam dieser Austausch fast vollständig zum Erliegen. Zwar konnte unsere Lernende ein Radiologie-Praktikum im Stadtspital Triemli absolvieren, dabei hat sie aber hauptsächlich Thoraxröntgen angefertigt. Skelettröntgen war für sie ein Fremdwort. Kein Wunder, dass sie dann an der Prüfung die Einstellungen nicht korrekt machen konnte. Ähnliches gilt für Krankheitsbilder, welche sie nur aus der Theorie kannte, weil eben der Patientenkontakt für allgemeinmedizinische Themen fehlte. Irgendwie habe ich dies im Rahmen der ganzen Coronathematik gar nicht bemerkt und – ja – so wurde meine MPA-Lernende «Opfer» dieser so einschränkenden Zeit. Natürlich hätten wir einen – notabene kostspieligen – Einspruch erheben und eine Neubeurteilung verlangen können, aber uns wurde klar vermittelt, dass wir in ihrem Fall wohl kaum eine Chance hätten – Corona hin oder her! So blieb uns nichts anderes übrig, als die beiden zu trösten und ihnen zu bestätigen, wie sehr wir auf ihre Fähigkeiten vertrauen. Sie würden dieses Jahr abwarten, sich nochmals gut vorbereiten, die Praktika in der Allgemeinpraxis absolvieren und dann die Prüfungen erfolgreich absolvieren. Als Zeichen unseres Vertrauens in ihre Fähigkeiten haben wir beiden Pädiaterinnen sie nun zum regulären MPA-Lohn angestellt und natürlich die geplante «kleine» Diplomfeier im Team umgesetzt. Es bleibt für uns die Frage, ob und wie die anderen MPA-Lernenden mit spezifisch-pädiatrischen Fragestellungen umgehen können: Verstehen sie die Bedeutung von Perzentilen? Können sie kindgerecht impfen? Haben sie eine verständliche Sprache zu Eltern und Kindern? Unsere MPA hat übrigens die initiale Enttäuschung bewundernswert weggesteckt. Sie stand zu den Defiziten in ihrer Ausbildung, welchen sie unverschuldet ausgesetzt war, hat sich rasch wieder in den praktischen Kursen fortgebildet und ist nun eine selbstbewusste Mitarbeiterin in unserem Team, in welchem sie auch für grössere Bereiche problemlos Verantwortung übernimmt. So hat die ganze Geschichte nun für mich auch einen durchaus positiven Aspekt – je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst: Die Ausbildung eines jungen Menschen in der pädiatrischen Praxis ist mehr als nur eine MPA-Ausbildung – es ist die Vermittlung der Begeisterung für «unsere Pädiatrie». ■ DR. MED. RAFFAEL GUGGENHEIM MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, ZÜRICH Korrespondenzadresse: dokter@bluewin.ch Über verpassten Austausch, Abschlussprüfungen und starke Persönlichkeiten. Was die Corona-Zeit so mit pädiatrischen MPA-Lernenden macht… Habt auch ihr Ähnliches mit euren MPA-Lernenden erlebt? Ist es fair, dass sie in den Prüfungen an pädiatriefernen praktischen Prüfungsthemen scheitern? Muss die Prüfungsordnung angepasst werden? Wenn ihr eigene Erfahrungen, Ideen oder Lösungen zu diesem Thema habt, so schickt sie uns ein und wir werden sie gerne im nächsten Heft veröffentlichen, kommentieren und auch an die Prüfungskommission weiterleiten.
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