10 BERUFSPOL I T I K 01 / 2022 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Die sozialen Determinanten von Gesundheit sind vielfältig: Armut, schlechte Wohn- oder Arbeitsverhältnisse, Einsamkeit, kritische Lebensereignisse oder ein Verzicht auf notwendige Gesundheitsleistungen haben negative Effekte auf die körperliche und psychische Gesundheit. Diese sozialen Faktoren von Gesundheit beschäftigen nicht nur die Medizin, sondern auch die Politik. Neuere Studien aus der Schweiz bestätigen die Notwendigkeit für einen einfacheren Zugang zu sozialen Hilfesystemen. So beziehen in Basel-Stadt 19 Prozent der anspruchsberechtigten Familien keine Prämienverbilligung. 23 Prozent beziehen keine Familienmietzinsbeiträge, obwohl sie darauf Anspruch hätten (Hümbelin et al. 2021). Diese Zugangshürden müssen geschlossen werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass knapp jedes sechste Kind unter 18 Jahren in einem armutsbetroffenen oder armutsgefährdeten Haushalt aufwächst (Guggisberg et al. 2016). Dafür sind Konzepte der Interprofessionalität und der integrierten Versorgung zentral. Sie begünstigen nicht nur eine höhere Versorgungsqualität, sondern auch einen effizienteren und nachhaltigeren Einsatz der verfügbaren Fachkräfte. Durch die Kompetenzenverteilung, fachliche Fallführungen und effizientes Informationsmanagement können Entlastung, Vertrauen und attraktivere Arbeitsplätze geschaffen werden (SAMW 2020). Die Ärzteschaft ist bereit Viele Ärztinnen und Ärzte werden in ihrer Sprechstunde regelmässig mit sozialen Problemlagen konfrontiert (Jobst und Joos 2014). 60 Prozent der schweizerischen Grundversorgerinnen und Grundversorger wünschen sich einen einfacheren Zugang zu und eine bessere Finanzierung von Sozialprogrammen (Pahud 2019). Auch seitens der Kinderärztinnen und Kinderärzte ist durchaus ein Problembewusstsein vorhanden. Eine im Rahmen einer Masterthesis befragte Kinderärztin berichtet beispielsweise, dass sie täglich mit sozialen Fragen konfrontiert sei. Weiter wird gesagt, dass das Wissen über Hilfsangebote fehle oder schlechte Erfahrungen mit den zuständigen Stellen gemacht wurden. Die Vernetzung und die Zusammenarbeit funktioniere in vielen Fällen nicht gut und werde als wenig ergiebiger Zusatzaufwand eher vermieden (Weber-Hallauer 2021). Die fehlende Abgeltung von Koordinationsleistungen und administrativem Aufwand verhindert oft eine erfolgreiche Koordination (Pahud 2019, S. 39). Ärztinnen und Ärzte der Primärversorgung sind für viele Menschen wichtige oder sogar die einzigen Vertrauenspersonen. Wo das Netz der sozialen Absicherung nicht greift oder wo Hemmungen den Gang zu Hilfsorganisationen verhindern, kann Sozialberatung in der Arztpraxis unkompliziert und niederschwellig individuelle Hilfestellung leisten. Sie kann Hürden zu unterstützenden Hilfsangeboten abbauen oder selbst Kurzzeitberatungen anbieten. Damit wird nicht nur soziale Inklusion ermöglicht, sondern es werden auch Exklusion und sozial-gesundheitliche Abwärtsspiralen präventiv vermieden. Implementierung in der Kinderarztpraxis Seit Januar 2021 bietet die Caritas beider Basel in der Youkidoc Kinderarztpraxis und weiteren Arztpraxen Sozialberatungen an. Die Patientinnen und Patienten sowie deren Eltern werden durch die Ärzteschaft oder die MPA auf das Angebot aufmerksam gemacht und können direkt am Empfang einen Termin für die kostenlose Sozialberatung buchen. Dank der Förderung durch die Christoph Merian Stiftung kann dieses Pilotprojekt für die Jahre 2021 und 2022 umgesetzt werden. Die interprofessionelle Zusammenarbeit im Team bedingt, dass sich die Beteiligten der verschiedenen Berufsgruppen aufeinander einlassen. Das gemeinsame Ziel, den Patientinnen und Patienten eine ganzheitliche Grundversorgung zu bieten, sowie gegenseitiges Vertrauen sind zentral für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Die Akzeptanz der Ärzteschaft für das eigenständige Arbeiten einer nichtmedizinischen Fachperson mit den Patientinnen und Patienten muss durch gemeinsame Aktivitäten und Reflexionsgefässe gestärkt werden. Gemeinsam erarbeitete Regeln über formelle und informelle Kommunikationswege müssen geklärt sein. In der Youkidoc Kinderarztpraxis hat sich insbesondere bewährt, dass die Sozialarbeiterin an morgendlichen RENÉ RÜEGG BERNER FACHHOCHSCHULE, SAGES VORSTANDSMITGLIED Korrespondenzadresse: rene.rueegg@bfh.ch DUNJA VETTER CARITAS BEIDER BASEL Korrespondenzadresse: dvetter@caritas-beider-basel.ch Stimmen aus Medizin und Politik fordern ein besseres Zusammenspiel des Gesundheits- und des Sozialwesens. Wie dieses Zusammenspiel konkret aussehen kann, zeigt die Kinderarztpraxis Youkidoc in Basel. Seit Anfang 2021 bietet sie in Zusammenarbeit mit der Caritas beider Basel Sozialberatung an. Dieser Beitrag gibt einen Einblick in das Pilotprojekt. Soziale Arbeit in der Kinderarztpraxis Für eine bessere Vernetzung mit dem Sozialwesen
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