KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2021

9 04 / 2021 BERUFSPOL I T I K K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Augen öffnen An der KIS-Jahrestagung hat die FMH-Präsidentin Yvonne Gilli eindrücklich die Gefahren der zur Diskussion stehenden Kostendämpfungsmassnahmen im Gesundheitswesen beschrieben. mfe hat in den letzten Monaten und Jahren immer wieder darauf hingewiesen. mfe versucht, auf allen Ebenen Einfluss zu nehmen, um das Schlimmste abzuwenden. Kostendämpfung im Gesundheitswesen ist in der Bevölkerung und quer durch alle politischen Parteien sehr populär, dies vor allem deshalb, weil ausserhalb des Gesundheitswesens alle selbstverständlich davon ausgehen, dass Einsparungen ohne jegliche Einschränkungen möglich sind. Auf dieser populistischen Welle reiten der Bundesrat, die Versicherer und die Sozialdemokratische Partei SP und die CVP/Die Mitte mit ihren beiden Initiativen. Populismus und Kostendämpfung Der Bundesrat geht davon aus, dass mit Pauschalen (auch in der Grundversorgung) und einer Zielvorgabe für die Kostenentwicklung (der Bundesrat legt fest, wie stark die Kosten im Folgejahr maximal steigen dürfen) Positives erreicht werden könnte. Die Älteren unter uns erinnern sich amüsiert an die Zielvorgabe, dass vier Computertomografen den Bedarf im ganzen Land abdecken könnten. Die Mitte/CVP will die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen an der Entwicklung der Löhne festmachen. Wie das geschehen soll, ist aus dem Schweigen der Partei nicht zu erraten. Auch die SP macht es sich sehr einfach. So sollen die Krankenkassenprämien nicht mehr als zehn Prozent des Einkommens ausmachen. Die Differenz bezahlt irgendein guter Onkel, eine gute Tante oder die Steuerzahler. Immerhin kein blinder Sparvorschlag. Aber auch kein innovativer Vorschlag zur Problemlösung. Ein Globalbudget (Kostendeckel, der Verteilkampf wird unter den Leistungserbringern ausgetragen) scheint in den Köpfen vieler eine valable Möglichkeit. Noch warten wir auf kluge Antworten auf die Frage, was passiert, wenn das Budget aufgebraucht ist, der Bedarf an Leistungen aber weiter besteht. Einige liebäugeln mit degressiven Tarifen (der Preis der Leistung wird einfach gekürzt. Oder: das Brot wird billiger, wenn zu viel davon konsumiert wird). Gespart würde auf den Rücken der Leistungserbringer, selbstredend zuerst auf den selbstständigen. Impfungen und Kostenverlagerung Einmal mehr haben die Versicherer bewiesen, dass sie nur die Verwalter von Geldern in Milliardenhöhe sind und sie die Versorgung der Bevölkerung einen Deut kümmert. Wie anders ist es zu erklären, dass sie sich standhaft weigern – sogar entgegen den Empfehlungen der Kantone – einen einigermassen vernünftigen Preis für die Covid-Impfung in der Praxis zu übernehmen? mfe hat es wiederholt vorgerechnet: Die Verabreichung der Impfung unter den gegebenen Umständen kostet mehr als Fr. 50. Durch Massenimpfungen kann die Effizienz etwas gesteigert werden. Unsere Behauptung, dass jede Impfung in den kantonalen Impfzentren bei einer Vollkostenrechnung mehr als Fr. 100 kostet, wurde bis jetzt von keinem Kanton widerlegt. Die Krankenkassen sind bereit, Fr. 14.50 für die Verabreichung der Impfung zu zahlen. Noch wird um ein paar Franken gefeilscht. Derweil bezahlt der Bund Fr. 50 Mio. für die Covid-Testung, pro Woche, und Fr. 100 Mio. für die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Pro Tag. Immerhin sind einige Kantone bereit, die Impfung in den Praxen zu unterstützen. Und der Bund kam sogar auf die Idee, jedem einen Gutschein über Fr. 50 auszuhändigen, der jemanden zum Impfen überzeugt. Ob wir da mit gemeint gewesen wären? Tabak und Gesundheit Wie leider vorherzusehen war, schätzt das Parlament die Interessen der Profiteure der Tabakindustrie – dazu gehören nicht nur Zigarettenhersteller und Tabakbauern, sondern auch die Medien – höher ein als die Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere der Kinder und Jugendlichen. Werbung für ein gesundheitsgefährdendes Produkt soll weiterhin möglich sein, insbesondere auch das Anfixen von Minderjährigen. Es fehlen die Worte. Noch ist eine Wende möglich, allerdings muss dafür unsere Initiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» vom Volk angenommen werden. mfe, die pädiatrischen Gesellschaften und viele Partnerorganisationen setzen sich dafür ein. Auch unser Einsatz in der Praxis im Interesse der Kinder und Jugendlichen ist erforderlich. Informieren wir unsere Gesprächspartner. Sorgen wir für ein unmissverständliches JA zum Schutz unserer Kinder. Tardoc Bei Redaktionsschluss ist unklar, wie der Bundesrat vorgehen will. Wir haben unsere Arbeit getan. Alles weitere hängt von der Vernunft der bisherigen Tardoc-Gegner santésuisse und H+ und vom Bundesrat ab. Das Symposium von mfe war der Tarifdiskussion gewidmet und der Frage, warum die Politik nicht auf die Experten hört (und umgekehrt). Als Gäste referierten Dr. Urs Stoffel von der FMH und Professor Marcel Salathé von der EPFL. mfe-Mitglieder finden weitere Informationen dazu im Primary and Hospital Care. ■ DR. MED. ROLF TEMPERLI VORSTANDSMITGLIED MFE, EHRENMITGLIED KINDERÄRZTE SCHWEIZ, LIEBEFELD Korrespondenzadresse: temperli-rossini@bluewin.ch DR. MED. HEIDI ZINGGELER FUHRER VIZE-PRÄSIDENTIN MFE, ZUSTÄNDIGKEIT PÄDIATRIE, CHUR Korrespondenzadresse: h.zinggeler@mez-chur.ch

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx