KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2021

36 JAHRESTAGUNG 04 / 2021 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Team Workshop 4 Rechtliches: Regenbogenfamilien und Patchworkfamilien REFERENT: PROF. DR. JONAS SCHWEIGHAUSER Lehrbeauftragter für Familienrecht an den Universitäten Basel und Zürich, Advokat und Anwalt in Binningen MODERATION: DR. MED. STEFANIE GISSLER WYSS Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin FMH, Praxispädiaterin in Neuendorf STEFANIE BERNOLD MPA in Chur AUTORIN: DR.MED. FRANZISKA STAEHELIN BÜRGEL Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin FMH, Praxispädiaterin in Lenzburg Korrespondenzadresse: franziska.staehelin@hin.ch Unter der Leitung von Stefanie Gissler Wyss zeigte uns der Jurist Prof. Jonas Schweighauser kompetent die entscheidenden Faktoren und Fallstricke bezüglich des elterlichen Sorgerechts und der Auskunftspflicht auf. Zunächst die Grundlagen: Entscheidend ist das juristische Kindesverhältnis, ohne dies hat kein Elternteil Pflichten und Rechte gegenüber dem Kind, auch wenn er genetisch verwandt ist! Das Kindesverhältnis zur Mutter entsteht durch die Geburt oder durch Adoption, zum Vater durch die Ehe zur Mutter, Anerkennung, Vaterschaftsurteil oder Adoption. Wichtig ist, dass das Kindesverhältnis unabhängig vom Zivilstand besteht und von einem Getrenntleben oder einer Scheidung nicht berührt wird! Das heisst, zu neuen Partner/-innen in Patchworkkonstellationen besteht grundsätzlich kein Kindesverhältnis (Ausnahme Stiefkindadoption), in Regenbogenfamilien nur zu einem Elternteil. Neuen Partner/-innen stehen in keiner rechtlichen Beziehung zum Kind und haben daher grundsätzlich weder Entscheidungsbefugnis noch Auskunftsrecht, dies gilt auch für Regenbogenfamilien (auch Stiefkindadoption möglich). Für uns bedeutet dies, dass das juristische Kindesverhältnis geklärt werden muss (am besten schriftlich, auf dem Anmeldeformular). Wir dürfen jedoch auf die Angaben der Eltern / des Elternteils vertrauen. Seit dem 1.7.2014 gilt das gemeinsame Sorgerecht (unabhängig vom Zivilstand) als Regelfall, was bedeutet, dass alle wesentlichen Entscheide gemeinsam getroffen werden müssen. Zitat: «Die Eltern leiten im Hinblick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung und treffen unter Vorbehalt der eigenen Handlungsfähigkeit die nötigen Entscheidungen. Der Elternteil, der das Kind betreut, kann allein entscheiden, wenn die Angelegenheit alltäglich oder dringlich ist oder der andere Elternteil nicht mit vernünftigem Aufwand zu erreichen ist.» Schwierig ist die Abgrenzung alltäglich zu wesentlich: Wesentlich sind zum Beispiel grundsätzliche Entscheidungen wie Arztwahl oder Behandlungen mit langfristigen Auswirkungen wie Impfen, diese müssen von beiden Eltern gemeinsam getroffen werden. Um uns im Alltag das Leben zu erleichtern, gibt es den «Gutglaubensschutz», das heisst, wir dürfen davon ausgehen, dass ein Elternteil im Einvernehmen mit dem anderen handelt. Sofern aber sich die Eltern bei einer wesentlichen Entscheidung (z. B. Impfen) nicht einig sind, besteht eine Pattsituation und es darf nichts getan werden. Im Streitfall, wenn die körperliche, psychische oder sexuelle Integrität des Kindes gefährdet erscheint, kann eine Gefährdungsmeldung an die KESB erfolgen. Ein weiterer Punkt war die Urteilsfähigkeit; «das urteilsfähige Kind kann bezüglich höchstpersönlicher Rechte selbst entscheiden (z. B. Verhütung, Impfen, Geschlechtsumwandlung usw.)». Die Schwierigkeit ist, abzuschätzen, wann ein Kind urteilsfähig ist: Dies ist nicht nur vom Alter, sondern auch vom Entwicklungsstand und der Tragweite der Entscheidung abhängig. Zuletzt wurde noch die Auskunftspflicht besprochen: Auch ohne elterliche Sorge haben Eltern, zu denen das Kindesverhältnis besteht, das Recht, Informationen über Diagnosen/Behandlungen von uns zu bekommen. Im zweiten Teil des Workshops diskutierten wir angeregt Fallbeispiele und durften immer wieder feststellen, dass es im Normalfall aufgrund des Gutglaubensschutzes reibungslos abläuft. Grosse Schwierigkeiten können bei elterlichen Streitigkeiten auf uns zukommen, dort helfen schriftliche Vereinbarungen. Vielen Dank für einen spannenden und lehrreichen Workshop. ■

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