22 JAHRESTAGUNG 04 / 2021 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ KINDER BRAUCHEN… quantitative und qualitative ZEIT • Quantität der Zeit schafft beziehungsstiftende Momente (stärkste Bindung zu Person, mit der man Zeit verbringt) ➜ Chronos (griech. Gott der Zeit) • Es braucht aber auch Qualität (angenehme, warmherzige, fürsorgliche und beglückende Interaktionen) • Zeit dann, wenn das Kind dies besonders braucht, auch wenn es nicht unbedingt passt ➜ Karios (griech. Gott des richtigen Augenblicks)… KINDER BRAUCHEN… GÜNSTIGE BINDUNGSERFAHRUNGEN Bindung und Sensivität Die elterliche Sensitivität führt zum «Fürsorgeverhalten» (beim Säugling: halten, trösten, liebkosen, schmusen, tragen, wickeln, nähren, später: realisieren, zuhören, Verständnis zeigen, gemeinsam Lösungen finden). Das «Bindungsverhalten» beim Säugling (wimmern, weinen, schreien, später: verbale, para- und nonverbale Signale von Stress) führt dann wieder zur elterlichen Sensitivität und der Kreis schliesst sich… Die «Elterliche Sensitivität» äussert sich in folgenden Punkten: • Adäquate Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse • Richtige Interpretation der kindlichen Bedürfnisse • Kontingenz/Promptheit (raum-zeitliche Nähe zwischen fürsorglichem Verhalten und kindlichen Bindungssignalen) • Angemessenheit des Fürsorgeverhaltens (positiv-angemessen versus ambivalent, hostil, überfürsorglich) Effekte einer sicheren Bindung beim Kind/Jugendlichen: • Angemessene Emotions- und Verhaltensregulation • Altersgerechte Autonomie • Offene Kommunikation von Gefühlen und Bedürfnissen • Suche von Nähe und Geborgenheit bei emotionalem Stress (bei wichtigen Bezugspersonen) • Stabiler Selbstwert • Beliebtheit und Erfolg KINDER BRAUCHEN… WOHLWOLLENDE LENKUNG (ANGEMESSENE ERZIEHUNG) Günstige Erziehung • Elterliche Sensitivität (wie viel Struktur/Lenkung braucht welches Kind wann und in welchen Kontexten?) • Emotionale Zugänglichkeit, Wärme/Liebe, Interesse, Unterstützung • Monitoring (Wissen, wo und mit wem das Kind ist, was es tut, welche Filme/Videogames es nutzt) • Klare Grenzen, Regeln und Strukturen • Konsistente Erziehung (innerhalb eines Elternteils und zwischen beiden Eltern ➜ Co-Parenting) (Das genetische Risiko bei ADHS ist bei inkonsistenter Erziehung deutlich grösser!) KINDER BRAUCHEN… EIN WOHLWOLLENDES FAMILIENKLIMA Das «Familienklima» kann gefördert werden durch: positive Alltagsinteraktionen (Respekt, Anstand), konstruktive Konfliktkommunikation (Kompromisse, Versöhnung), Selbstöffnung und gegenseitige Unterstützung (füreinander da sein). Kinder werden dann problematisch, wenn sie einem ungünstigen Kontext ausgesetzt werden. ➜ Kinder, die Sorgen machen, HABEN Sorgen. Kinder sind nicht schwierig, sie WERDEN schwierig. Folgender Teufelskreis kann es beschreiben: Destruktive Paarkonflikte und schlechtes Familienklima ➜ schlechtes psychisches und physisches Befinden ➜ geringe Sensitivität für das Kind und seine Bedürfnisse ➜ Inadäquate Erziehung ➜ Schwieriges Kindsverhalten ➜ Destruktive Paarkonflikte und schlechtes Familienklima… Take Home Messages ■ Zweielternfamilien sind nur dann günstiger für das Kind als andere Familienformen, wenn sie in der Lage sind, positive Entwicklungsbedingungen zu schaffen ■ Positive Entwicklungsbedingungen sind: ➜ Zeit für das Kind ➜ Sichere Bindungserfahrungen (Sensitivität) ➜ Angemessene Erziehung ➜ Positives Familienklima (wenig destruktive Konflikte) ■ Zu zweit (beide Eltern) und ohne schwierige Adaptations- und Reorganisationsanforderungen ist die Gewährleistung dieser Entwicklungsbedingungen einfacher (dennoch schaffen es etliche Zweielternfamilien nicht) ■ Niederschwellige Unterstützung (Präventionsangebote) für Familien sind daher sinnvoll (z. B. «Paarlife» (Angebot vom Psycholog. Institut der Uni Zürich, Kurse zur Stärkung der Erziehungskompetenzen und Sensitivität) ■ LITERATUR: Bodenmann G. (2016), Lehrbuch Klinische Paar- und Familienpsychologie (2. Auflage).
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