KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2021

33 03 / 2021 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ In der Schweiz gibt es kein Gesetz, das besagt, eine Arztpraxis müsse sich von einer externen Stelle in die Karten blicken und zertifizieren lassen. Trotzdem gibt es Hunderte von Hausärzten und eine Handvoll von Pädiatern, welche dies in regelmässigen Abständen tun. Wieso eigentlich? Ein Grund ist oft der Wunsch, sich einem Ärztenetz anzuschliessen. Einige Netze geben ihren Mitgliedern als «Geschenk» die Auflage, eine Zertifizierung durchzuführen. Sie übernehmen dafür die Kosten. Dadurch garantieren sie ihren Kunden einen hohen Standard und ihre Mitglieder erhalten eine Methode, den Anspruch nach solider Qualität kontinuierlich weiterzuverfolgen. Zudem gibt die Zertifizierung den Netzen ein Argument in Vertragsverhandlungen mit Versicherern. Eine wachsende Anzahl Praxen interessiert sich auch aus anderen, praktischen Gründen für eine Zertifizierung. Sie erhoffen sich dadurch Hilfsinstrumente und einen überschaubaren Aufwand, um den modernen Anforderungen an die Gesundheitsversorgung zu genügen, ohne dass etwas durch die Maschen fällt. Ab April 2022 werden ausserdem unter dem Krankenversicherungsgesetz neue nationale Verträge gelten, nach denen Leistungserbringer Qualitätsaktivitäten durchführen müssen. Eine Zertifizierung kann einer Praxis die Beruhigung bringen, den gesetzlichen Anforderungen nicht nur zu genügen, sondern darüber hinauszugehen. Was ist eine Zertifizierung und welche Anforderungen gibt es dafür? Ein Zertifikat im Wartezimmer, auf der Homepage oder der entsprechende Eintrag auf comparis.ch ist eigentlich eher ein Nebenprodukt einer selbstkritischen professionellen Einstellung. Der wichtigste Aspekt einer Zertifizierung ist die Selbstanalyse: Dank einer strukturierten Checkliste und einem partnerschaftlichen Blick von aussen erhält man die Gelegenheit, sein Optimierungspotenzial zu erkennen und Prioritäten zu setzen. Damit ein Zertifikat vergeben wird, müssen Mindestkriterien erfüllt sein. Im Falle der EQUAM-Zertifizierung gehört dazu beispielsweise ein Hygienekonzept, ein Notfallkonzept und ein simples System zum Lernen aus unerwünschten Ereignissen (CIRS). Die Praxis definiert zudem selbstständig einige Verbesserungsmassnahmen und berichtet darüber. Die Auditorin übernimmt dabei eher die Rolle eines Coaches als die eines Inspektors. Wenn sich eine Arztpraxis in der Schweiz nach einer spezifisch dafür zugeschnittenen Norm formell zertifizieren lassen möchte, gibt es zwei bekannte, auf externe Audits basierte Optionen: Eine Zertifizierung mit dem Namen «Good Medical Practice» der Firma SQS sowie die Zertifizierung der EQUAM Stiftung. Während Erstere sich an ISO Zertifizierungen anlehnt, hat Letztere eine etwas kleinere Anzahl Kriterien, welche alle öffentlich zugänglich sind und teilweise spezifisch auf die gelebte Alltagspraxis eingehen. Die EQUAM-Norm für Pädiatriepraxen ist von der offiziellen Schweizerischen Akkreditierungsstelle (SAS) anerkannt. Bei der EQUAM-Zertifizierung wird nach der Anmeldung eine Patientenbefragung durchgeführt. Anschliessend evaluiert die Praxis mittels einer Selbstdeklaration den «IST»-Zustand. Ein Auditbesuch findet statt, wenn alle Mindestkriterien erfüllt sind. Typischerweise vergeht bis zur Vergabe des Zertifikats weniger als ein Jahr, sofern die Praxis dem Prozess die notwendige Priorität geben kann. Der Zeitaufwand für eine EQUAM Erst-Zertifizierung wird oft zwischen 2–4 Arbeitstagen geschätzt und zu einem Grossteil von Medizinischen Praxisassistentinnen übernommen. Zusätzliche unabhängige Hintergrundinformation zu Zertifizierungen im Gesundheitswesen findet sich im FMH Grundlagenpapier von 2018: https://bit.ly/3wln7Jx ■ JOEL LEHMANN GESCHÄFTSFÜHRER, EQUAM STIFTUNG, BERN Korrespondenzadresse: joel.lehmann@equam.ch Qualitätszertifizierung für die Kinderarztpraxis – eine Überlegung wert? Was ist Qualität in der Gesundheitsversorgung? Es gibt in der Schweiz noch keinen universalen Konsens, wie Qualität in der medizinischen Grundversorgung definiert und gemessen werden soll. Doch auch wenn man ab und zu immer noch die Behauptung hört, Qualität sei per Definition nicht messbar und daher auch nicht systematisch zu verbessern, gibt es seit Jahrzehnten etablierte Begriffe und Evaluationsfelder. Um gute, den Patientenbedürfnissen entsprechende Gesundheitsergebnisse zu erzielen und Risiken zu minimieren, gilt es, Minimalstandards bei der Infrastruktur und bei Arbeitsprozessen zuwahren. Ausserdem ist zur Stärkung der Patientensicherheit eine aufmerksame Einstellung gegenüber unerwünschten Ereignissen und «Beinahe-Ereignissen» notwendig, damit solche ohne Schuldzuweisung dokumentiert werden können und daraus gelernt werden kann. Der konzeptuelle Rahmen für Qualität, welcher von der WHO, vom Amerikanischen Institute of Medicine (IOM) und anderen verwendet wird und worauf auch das BAG Bezug nimmt, unterscheidet sechs Dimensionen der Versorgungsqualität: Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit, Patientensicherheit, Patientenzentriertheit, Rechtzeitigkeit und Chancengleichheit.

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