45 02 / 2021 DAS GUTE K INDERBUCH FÜR DI E PRAX I S K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Micha Friemel bringt die Geschichte von Lulu mit ihren Texten wunderbar auf den Punkt, und Jacky Gleichs Bilder sind bestechend einfach, ausdrucksstark und witzig. Aber weder der Text noch die Bilder drängen sich in den Vordergrund. Es ist das Thema selbst, das dominiert. Lulu ist nicht die Grosse, die schon alles kann, wie ihr Bruder Kaspar. Sie ist auch nicht die Kleine, die zwar nervt, aber trotzdem süss ist, wie ihre Schwester Leonor. Lulu ist irgendetwas dazwischen. Etwas, das sich je länger, je mehr wie nichts anfühlt. Von Seite zu Seite wird Lulus «Mitte-Situation» bedrängender. Auch als Leser spürt man diese unangenehme Spannung deutlich. Wie gut, dass die Eltern am Abend bzw. am Ende des Buches die richtigen Worte finden: Du bist der Schinken im Sandwich, die Creme in der Schnitte, das Gelbe im Ei! Du bist unsere goldene Mitte! Ganz so einfach mag es im Familienalltag dann doch nicht sein. Aber die Perspektive, die hier vermittelt wird, befreit das Kind in der Mitte vom Vorurteil, per se ein Problem zu sein oder zu haben und zeigt Eltern auf witzige Weise die Möglichkeit einer positiven Haltung ihren «Mittekindern» gegenüber. Ein wirklich tolles Buch! ■ AUTORIN DR. MED. NADIA SAUTER OES MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, WINTERTHUR Korrespondenzadresse: nadia.sauter@oes.ch «Lulu in der Mitte» Micha Friemel, Jacky Gleich Hanser Verlag, ISBN 978-3-446-26612-4 Zwei nominierte Werke für den Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2021 Bild: Hanser Literaturverlage «Bestiaire helvétique» Marcel Barelli EPFL Press, ISBN 978-2-88915-383-1 Auch «Bestiaire helvétique» von Marcel Barelli ist eines der fünf Werke, die für den Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2021 nominiert worden sind. Um es grad vorwegzunehmen: Dieses Buch ist einfach grossartig! 413 in der Schweiz vorkommende Wirbeltiere werden je auf einer Seite vorgestellt. Der Autor und Illustrator schafft es dabei, dass man das Buch kaum aus der Hand legen will. Jedes Tier wird mittels einer Schwarz-WeissZeichnung vorgestellt. In die Zeichnung fliessen Informationen zu Besonderheiten des Tieres, Schutzzustand oder Art der Bedrohung und Bezug zum Menschen mit ein. Tönt ziemlich trocken, ist in der Ausführung aber umwerfend. Die Bilder sind schlicht, aber äusserst treffend: zum Teil beklemmend direkt, zum Teil voll schwarzem Humor oder aber fast schon poetisch. Kurze Texte sind wie nebenbei am unteren Rand jeder Seite platziert. Auf die üblichen Informationen wie Paarungsverhalten, Brutzeit, Grösse, Lebenserwartung oder Nahrungszusammensetzung wird gänzlich verzichtet. Stattdessen erfahren wir viel Spannendes über spezielle Eigenheiten des jeweiligen Tieres, über seine Bedeutung in der Geschichte oder in Legenden, über die Bedrohung der Art oder über gelungene Wiederansiedlungsversuche. Sowohl Bild als auch Text regen an, mit Kindern über die Tiere der Schweiz zu reden, über deren Umwelt und Lebensbedingungen zu diskutieren und nachzudenken und nicht zuletzt, über die wirklich tollen Bilder zu staunen und zu schmunzeln. Ich habe meine Familie tagelang mit immer neuen Ahs! und Ohs! aus diesem Buch unterhalten. Einen kleinen Haken hat das Buch, oder nennen wir es Herausforderung: Es existiert bisher nur auf Französisch. ■ «Lulu in der Mitte» wurde absolut zu Recht für den Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2021 nominiert. Bild: Hanser Literaturverlage
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