KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2021

37 02 / 2021 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Jugendliche mit Diabetes sind häufig mit der rigiden Handhabung ihrer Krankheit überfordert. Trotz moderner Methoden wie Insulinpumpen und Sensoren sowie diversen Apps, welche sie mehr oder weniger gut ermuntern eine gewisse Compliance zu halten, kommt es immer wieder vor, dass Jugendliche sich zu viel oder zu wenig Insulin spritzen bzw. die Pumpe nicht wechseln etc. und es dadurch zu lebensbedrohlichen Situationen kommen kann. Am Fallbeispiel unseres Patienten möchten wir dies anschaulich darstellen und dafür plädieren, Jugendliche mit Diabetes und anderen potenziell gefährlichen Krankheiten zum Tragen eines «coolen» Bracelets zu ermuntern. Dies hilft im Falle von Unansprechbarkeit, rasch die richtigen Massnahmen treffen zu können. Fabian S., 14 Jahre und sein Bruder Laurent, 18 Jahre sind bekannte Patienten unserer Praxis. Bei beiden wurde im Kindesalter ein Diabetes mellitus Typ 1 diagnostiziert, ebenso im Verlauf eine Hypothyreose. Bei Fabian kam die Diagnose einer schwerwiegenden Erdnussallergie dazu. Die nicht deutschsprachigen Eltern hatten immer wieder Mühe, die Krankheit ihrer Kinder zu akzeptieren und daher wurden die Kinder in kurzen Abständen im Zentrumspital angebunden. Im Rahmen der Adoleszenz kam der Wunsch für mehr Autonomie auf. Dies gelang bei Laurent erfreulich gut und seine Zuckerspiegel waren zwar erhöht, aber insgesamt in einem akzeptablen Rahmen. Bei Fabian hingegen ging die Einstellung deutlich schlechter und er zeigte im Verlauf HbA1c Werte bis 9,1% mit BZ-Spitzen von 12–13 mmol/l, weswegen er auch häufig Insulin nachspritzen musste. Zusätzlich nahm er es mit der Diät nicht so genau und hatte mehrfach mittelschwere Reaktionen auf erdnusshaltige Nahrungsmittel, weswegen er mit einem Notfallset ausgerüstet wurde. Mit zunehmendem Alter wurde Fabian vermehrt ungeduldig und hatte bereits in einer Kontrolluntersuchung gemeint, ihn ärgern diese ständig erhöhten BZ-Werte und er spritze «halt dann» etwas mehr nach. Trotz Rücksprache mit dem Zentrum konnte seine Motivation betr. Ernährung und erneute Schulung oder für eine psychologische Begleitung nicht gesteigert werden. Am Morgen des 2. Juli war der BZ offensichtlich höher als erwartet, sodass Fabian eine grössere Menge Actrapid spitzte. Auf dem Weg zur Schule sei es ihm dann übel geworden, an mehr kann er sich nicht erinnern. Er ist danach bewusstlos in einem Gebüsch neben der Bushaltestelle mit Schaum vor dem Mund gefunden worden. Initial war den Helfern nicht klar, ob er eine Epilepsie hat – das Notfallset hatte er natürlich nicht dabei, auch keinen Notfallausweis oder Bracelet. Erst die hinzugerufene Ambulanz konnte einen tiefen BZ von 0,8 mmol/l messen und entsprechend handeln. Glücklicherweise konnte Fabian nach kurzem Aufenthalt im Notfall und entsprechender Beratung durch die Diabetesabteilung gleichentags wieder nach Hause entlassen werden. Fabian hatte Glück im Unglück – er wurde rasch gefunden und hat sich nicht weiter verletzt. Ebenso konnte die Ambulanz sofort entsprechende Massnahmen einleiten. Da er aber verschiedene Gründe für eine Stoffwechselentgleisung und auch eine Anaphylaxie hat, sind diese in einem Notfall zu berücksichtigen. Wir haben dies nach dem Ereignis mehrfach in der Sprechstunde mit ihm besprochen und mit ihm zusammen dann ein Bracelet ausgewählt, welches er nun auch (meistens) trägt. Die Kosten sind mit Fr. 10.– bis Fr. 25.– gut tragbar; das Armband kann leicht im Internet bestellt und auch entsprechend beschriftet werden. Es lohnt sich, dies gemeinsam mit den Jugendlichen zu machen, damit die wichtigen Daten bestimmt erfasst werden. Dazu gehören neben Name, Geburtsdatum und Diagnose(n) auch eine Notfallnummer und vielleicht der Hinweis: «Give sugar», da bei Diabetes die Hypoglykämie immer noch der häufigste Grund für eine komatöse Situation ist. * ■ * Bei Anaphylaxie kann man entsprechend «Give Epipen» schreiben, wobei der Patient dann auch einen solchen im Notfallset auf sich tragen soll. DR. MED. RAFFAEL GUGGENHEIM MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, ZÜRICH Korrespondenzadresse: dokter@bluewin.ch Wieso ein Notfall-Bracelet bei Jugendlichen sinnvoll ist Fotos: Shutterstock

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