KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2021

35 02 / 2021 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ haben, die Blutzuckerwerte müssten gleich gut sein, wie wenn die Eltern alles machen. Der Spagat zwischen Loslassen – Verantwortung – Vertrauen/Fürsorge ist schwer und individuell. Die Jugendlichen sehen sich eben oft nicht als Diabetiker, sondern wie andere gesunde Jugendliche. Wir als Eltern sehen oft mehr den Diabetes. Wie lange hat es gebraucht, bis ihr in einem einigermassen «normalen» Alltag angekommen seid? Welche Einschränkungen gibt es noch? Martin: Der Alltag kam schleichend wieder zurück, wurde aber nie wieder normal. Wir haben uns mit den Diskussionen um unkontrolliertes Essen und falsche Insulinberechnungen mehr oder weniger arrangiert, ebenso mit den nächtlichen Einsätzen wegen zu korrigierender Über- und Unterzuckerungen und den Sorgen, wenn sie fremdbetreut (z. B. in einem Lager). Caroline: Das ist so lange zurück. Ich weiss es gar nicht mehr genau. Wir haben nie auf Aktivitäten verzichtet. Aber das «Drumherum» war immer irgendwie schwierig. Das Organisieren von Ferien, die Lager etc. Die Ängste waren dennoch von Anfang an schlimm und wurden es dann Anfang Pubertät wieder. Ebenso fühlte ich mich irgendwie als Opfer. Ich hatte das Gefühl, es ist so viel Mehraufwand/Sorgen mit einem solchen Kind und niemand sieht das. Ich glaube, das ist auch das Schwierige für Mütter: Gegen aussen ist der Alltag eben schnell «normal» und man sieht es nicht. Und wenn keine Anerkennung kommt, vom Arzt, vom Partner, vom Umfeld, dann kann man schon fast verbittern. Die Ängste und diese «Opferhaltung» habe ich heute überwunden. Sicher ist aber, solange ich Mutter bleibe, werde ich mich um ihre Gesundheit sorgen. Nicht um ihr Sozialleben oder um ihre berufliche Entwicklung. Da wird sie ihren Weg gehen. Was wäre euer wichtigster Ratschlag an Eltern von Kindern mit neu diagnostiziertem Diabetes mellitus? Welchen würdet ihr den Kinder geben? Und welchen dem Ärzteteam? Martin: Sich Hilfe bei anderen Betroffenen suchen, sich vernetzen, auch mit der Selbsthilfegruppe Swiss Diabetes Kids. Engagiert euch politisch und schaut, welche Rechte ihr habt. Das kann eben auch eine Patientenorganisation machen, wie diabetesschweiz. Sie informiert und hilft beispielsweise auch bei der Hilflosenentschädigung (auf Seiten 30–31). Wir hätten gerne gewusst, dass es die Hilflosenentschädigung geben kann…Das ist immerhin eine indirekte Anerkennung für all die Arbeit, die man im Hintergrund leistet. An das Kind: Es soll stolz sein, dass es durch den Diabetes Sachen anders/besser lernt als andere: rechnen mit Kommastellen, gesundes Essen einschätzen, sich überwinden, wenn man Unangenehmes machen muss (sich piksen). Lasst euch nicht durch den Diabetes einschränken. Caroline: Von Anfang an versuchen, daran zu arbeiten, Vertrauen in das Kind und das Leben zu haben. Traut eurem Kind Dinge zu. Es kann es vor allem, wenn es spürt, dass es muss. Zu viel Kontrolle wirkt kontraproduktiv. Es ist wie bei gesunden Kindern: Man muss ihnen die Gelegenheit geben zu reüssieren. Das ist mit Risiken verbunden, klar, aber auch mit Freiheit und somit mit Lebensqualität. Denkt dran, eure Kinder haben trotz allem eine unbeschwerte Kindheit. Sie erleben die Krankheit anders. Sie sehen sich nicht als krank an. Das hilft. Die Krankheit verlangt am meisten von den Eltern ab. Auch bitte die Kinder nicht als Opfer ihrer Krankheit sehen. Es gibt in jedem Alter und in jeder Lebenslage schwierige Momente. Da hilft es, wenn man schon als Kind gelernt hat mit solchen Barrieren umzugehen. Vielen Dank euch beiden für eure Offenheit und für die sehr persönlichen Einblicke in eure Gedanken und in eure Situation. ■

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