33 02 / 2021 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Also: Meine Geschichte startet, als ich fünf Jahre alt war. Damals wurde ich ins Spital eingeliefert und war stark untergewichtig. Mir selbst war jedoch damals nicht klar, was es bedeutet, «Diabetes Typ 1» zu haben. Für die Menschen um mich herum war es ein viel grösserer Schock. Für mich änderte sich zunächst bis auf einen Fingerpiks und drei Mal täglich Insulinspritzen nicht viel, deshalb konnte ich die Angst und das Mitleid meiner Familie nicht wirklich verstehen. Ich war doch ein ganz normales Kind mit einer kleinen Besonderheit. Diese Einstellung blieb auch so, bis ich mit zwölf Jahren in die Pubertät kam. Zu diesem Zeitpunkt war tendenziell eh alles nervig, was nicht mit meinen Freunden oder Spass zu tun hatte. Also auch mein Diabetes. Durch meinen Hormonanstieg im Körper bedurfte natürlich auch dieser nun viel mehr Pflege und Aufmerksamkeit als bisher. Noch dazu hat man in diesem Alter ein grosses Verlangen dazuzugehören, und ich war in meinem Freundeskreis die Einzige mit Diabetes. Das heisst: Ich war die Einzige, die vor dem Essen ihren Blutzucker messen und Insulin spritzen musste, ich war die Einzige, welche einen Katheterschlauch am Bauch hatte und ich war die Einzige, die immer auf ihren Diabetes Rücksicht nehmen musste. Meine Freunde waren zu meinem Glück immer sehr verständnisvoll und unterstützend und ich wurde zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen, was eine grosse Hilfe war. Mittlerweile habe ich auch die Sorgen meiner Familie immer mehr wahrgenommen, vor allem meine Mutter war oft überfordert mit der Krankheit, weil sie sich Sorgen machte. Wenn anderen Menschen erzählt wird, jemand habe Diabetes, kommt ihnen erst einmal das Bild von zu viel Zucker in den Sinn bzw. Menschen mit Diabetes Typ 2. Wenn sie es aber dann erklärt bekommen, kommt sehr oft der Satz: «Ah, da musst du ja gar nichts mehr tun, die Technik ist ja heutzutage schon so weit, oder?» Ich habe diese Evolution der Diabetestechnik selbst miterlebt und gesehen, was für Fortschritte die Wissenschaft gemacht hat. Ich denke auch nicht, dass der technische Aufwand der belastende Part der Diabetestherapie ist, sondern es ist das Wissen, gewisse Dinge nicht tun zu können oder einfach anders zu sein. Mir ist auch ganz klar bewusst, dass Diabetes keine akut lebensbedrohliche Krankheit ist und gut behandelbar ist. Trotzdem ist das Risiko für Spätfolgen zum Beispiel immer da. Oder wenn man abends mit seinen Freunden weggeht, muss der Blutzucker stimmen, denn ansonsten kann eine Unterzuckerung fatale Folgen haben. Zusätzlich möchte man ja, mit zunehmendem Alter, auch immer unabhängiger werden und sich von den Eltern abkoppeln. Doch das ist sowohl für Jugendliche mit Diabetes als auch für Eltern heikel. Auf der einen Seite wollen die Eltern das Kind nicht aus der Obhut geben, weil es womöglich nicht selbst auf sich oder seinen Diabetes aufpassen kann. Auf der anderen Seite ist es schwierig – und für die jungen Erwachsenen oftmals nicht verständlich –, wieso ihre Eltern immer ein wenig strenger sind oder weniger Freiheiten geben (können). Es ist sehr wichtig, über Ängste und Bedürfnisse zu sprechen und Kompromisse zu finden. Wir alle haben etwas, was uns Angst macht, und jede Angst ist berechtigt und muss akzeptiert werden. Das haben wir auch bei uns in der Familie gelernt. Oft ist der Diabetes oder eine andere chronische Krankheit eine sehr emotionale Angelegenheit und belastet die ganze Familie. Ich musste meine eigenen Erfahrungen machen mit dem Diabetes, um herauszufinden, wo meine Grenzen sind und wo ich vielleicht Hilfe brauche. Denn, obwohl ich gerne unabhängig wäre und alles selber machen will, habe ich gemerkt, dass ich jetzt vielleicht noch nicht für alles die volle Verantwortung tragen kann und will. ■ ANAÏS SCHMIDT GYMNASIASTIN, RHEINFELDEN Korrespondenzadresse: martin.schmidt@hin.ch Anaïs, 16 Jahre, hat seit 11 Jahren Diabetes Typ 1 und trotz/dank ihm schon einiges erlebt. Erfahrungsbericht: Mein Leben mit dem Diabetes «Die Begleiter des Diabetes – früher der Bär, heute das Smartphone» Foto: Anaïs Schmidt
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